Es war im August, der Tag war heiss und anstrengend. Vreni Weber aus Rapperswil SG (Name geändert) kam erschöpft nach Hause. Vor der Haustür wurde die 72-Jährige von einem Mann angesprochen. «Er hatte ein gutes Auftreten, war gepflegt und von stattlicher Figur», erinnert sie sich. Er habe Thurgauer Dialekt gesprochen und sich als Victor Hugo aus Arbon TG vorgestellt. Er wolle mit ihrem Mann sprechen. Sie liess ihn in die Wohnung. Ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte.
Plötzlich war der Händler mit allem Schmuck verschwunden
Als auch ihr Mann hinzugekommen war, erklärte Hugo, er sei Schmuckhändler. Das Paar besass einige Schmuckstücke, die es verkaufen oder zumindest schätzen lassen wollte. Deshalb suchte es diverse Ketten, Ringe, eine Uhr der Marke Omega und ein Collier zusammen und breitete die Stücke auf dem Wohnzimmertisch aus.
Der angebliche Goldhändler begutachtete die Ware und sagte, er wolle einzelne Stücke kaufen. Dafür legte er 1000 Franken auf den Tisch. Die ausgewählten Stücke hätten sogar 1200 Franken wert. Die fehlenden 200 Franken hole er später am Bancomaten.
Während der Besprechung hatte sich Vreni Weber für ein Schläfchen zurückgezogen. Auch ihr 67-jähriger Mann verliess den Goldhändler kurz, um sich in der Küche einen Kaffee zu holen. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, war der Händler mit allem Schmuck und der Uhr verschwunden. Bloss die 1000 Franken lagen noch auf dem Tisch.
Das Paar hat den Schmuck inzwischen abgeschrieben. «Wir wurden böswillig über den Tisch gezogen», sagt Weber zu saldo. Zumindest soll nun ihre Geschichte andere Leute davor bewahren, in dieselbe Falle zu tappen. «Man muss diesen Räubern das Handwerk legen.»
Das Erlebnis der Webers ist kein Einzelfall: Den Polizeikorps der Kantone Aargau, Bern, Thurgau, St. Gallen und Zürich ist die Betrugsmasche wohlbekannt. Nur schon der Kanton Thurgau verzeichnete seit Anfang 2019 elf vergleichbare Fälle mit einer Deliktsumme von total 27 500 Franken. Im Kanton Aargau kam 2018 eine Uhr weg im Wert von 18 000 Franken. Dies geschah unter dem Vorwand, das Stück schätzen und reparieren zu wollen. Die Polizei der verschiedenen Kantone geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Fälle höher ist als die gemeldete. Denn oft gelangen sie gar nie zur Anzeige.
Die Polizei rät dazu, keine Haustürgeschäfte zu tätigen
Oft gelangen die Betrüger unter dem Vorwand in die Wohnung, sich für Antiquitäten oder Pelzmäntel zu interessieren. Beiläufig fragen sie dann die Opfer nach Schmuck oder anderen Wertgegenständen.
Die Polizei rät grundsätzlich dazu, keine Fremden ins Haus zu lassen, niemandem blind zu vertrauen und allgemein keine Haustürgeschäfte zu tätigen. Wird man in ausufernde Gespräche verwickelt und bedrängt, alarmiert man am besten die Polizei über die Notrufnummer 117. Wer trotz aller Vorsicht betrogen wurde, sollte sofort eine Anzeige erstatten.
Tipp: Wer Gold verkaufen will, sollte das nicht über fliegende Händler, sondern in Schmuck- oder Edelmetallgeschäften tun. Auch Flugblätter im Briefkasten, auf denen attraktive Erlöse an spontanen Treffen in Dorfbeizen versprochen werden, ignoriert man besser.
Am besten lässt man Schmuck von mindestens drei Schmuckläden schätzen und holt konkrete Offerten ein. Diese unterscheiden sich teilweise um Hunderte von Franken, wie eine Stichprobe in diversen Geschäften mit dem gleichen Schmuck zeigte («K-Geld» 3/2019). In jedem Fall sollte man sich den ganzen Verkaufserlös aufs Mal auszahlen lassen und eine Quittung verlangen.