Das Internet-Gartencenter Gardenrex frohlockt auf seiner Website: «Der Frühling ist da.» Daneben ist eine Flasche Roundup mit dem Pflanzengift Glyphosat abgebildet, das Unkraut im Beet beseitigt. Auch die Landi verkauft Roundup: Eine 1-Liter-Flasche kostet Fr. 22.95. Glyphosat für den Privatgebrauch gibt es zudem unter dem Namen Deserpan TD bei der Coop-Tochter Microspot.ch oder als Glyphosate beim Internethändler Sintagro in Langenthal BE.
Schweiz: In 15 Jahren tonnenweise Glyphosat verspritzt
In den letzten 15 Jahren verspritzten Gärtner und Bauern in der Schweiz laut Bundesamt für Landwirtschaft 3266 Tonnen Glyphosat. Das Mittel dient als Unkrautvernichter und ist das meistverwendete synthetische Pestizid. Die EU hat vor kurzem dessen Zulassung bis Ende dieses Jahres verlängert. Sie entscheidet demnächst über eine weitere Verlängerung.
Die Schweizer Behörden übernehmen die EU-Regelung gemäss Chemikaliengesetz automatisch. Der Entscheid der EU ist letztlich abhängig davon, wie die europäischen Lebensmittel- und Chemikalienbehörden die Gesundheitsrisiken von Glyphosat bewerten. Dabei berufen sie sich auf ein rund 180 000-seitiges Dossier mit Studien, das die Hersteller im Dezember 2019 einreichten. Zu den Herstellern gehören die Basler Syngenta und der deutsche Bayer-Konzern.
«Qualität der Studien ist sehr schlecht»
Das Dossier ist eigentlich geheim. Doch vor kurzem konnten es unabhängige Forscher der Medizinischen Universität Wien einsehen. Siegfried Knasmüller, Professor am Institut für Krebsforschung, sagt zu saldo: «Die Qualität dieser Studien ist sehr schlecht.» Er überprüfte insgesamt 63 Untersuchungen zur Frage, ob Glyphosat das Erbgut schädigt. Das ist ein wichtiger Indikator für das Krebsrisiko. Resultat: 58 Untersuchungen entsprachen nicht den Kriterien, welche die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für solche Zulassungsstudien vorgibt. Nur fünf Studien beurteilte Knasmüller als zuverlässig.
Laut dem Forscher kamen in den Studien veraltete Tests zum Einsatz. Allein 16 Untersuchungen basierten auf unzuverlässigen Tests an Bakterien. In neun weiteren Studien wurde geprüft, ob Glyphosat die Zellen im Knochenmark von Versuchstieren schädigt. Knasmüller sagt, auch dieses Verfahren sei veraltet: «Damit erkennt man nur fünf oder sechs von zehn krebsauslösenden Stoffen.»
Die beschönigenden Studien haben Folgen, wie die Haltung der EU zeigt: Die Einstufung von Glyphosat als krebserregend sei «nicht gerechtfertigt». Der Toxikologe Peter Clausing von der deutschen Organisation Pestizid-Aktions-Netzwerk vermisst im Bericht der EU-Behörden zu Glyphosat jegliche Erwähnung von Studien zu «oxidativem Stress», einem Vorboten für Krebs. Zum Beispiel untersuchten US-Forscher des Nationalen Krebsinstituts vor kurzem den Urin von 268 Bauern, die Glyphosat einsetzten, und den Urin von 100 Personen ausserhalb der Landwirtschaft, die das Pestizid nicht verwendeten. Fazit: Die Bauern hatten klar erhöhte Werte von «oxidativem Stress».
Bei der Zulassung waren frühere Pharmaberater beteiligt
Krebsforscher Knasmüller bemängelt auch, dass in der EU-Bewertung Studien zu möglichen Schäden an der Leber fehlen: «Unabhängige Untersuchungen legen nahe, dass Glyphosat die Zellen in der Leber schädigen kann. Es ist grobfahrlässig, dass die Behörden das ausser Acht lassen.»
Experte Clausing kritisiert zudem die Zusammensetzung des für die Zulassung zuständigen EU-Gremiums. Im Ausschuss für Risikobewertung der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki sitzen 48 Sachverständige aus EU-Mitgliedsstaaten. Der Haken: Viele Ausschussmitglieder sind keine Krebsspezialisten. Laut Clausing berücksichtigten sie im Prüfverfahren «nicht alle Wirkmechanismen, wie Krebs entstehen kann».
Hinzu kommt: Vier Ausschussmitglieder waren früher als Berater für Chemiefirmen tätig. Der Vorsitzende Tim Bowmer etwa arbeitete 26 Jahre lang für die holländische Forschungsorganisation TNO, die unter anderem EU-Zulassungsdossiers für Hersteller anfertigt. Als Verkaufsmanager pflegte er zehn Jahre lang enge Kontakte zu Chemiefirmen. Bowmer bestreitet, deswegen «Interessenkonflikte» zu haben. Bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit arbeitete fast die Hälfte der Experten, die 2017 Glyphosat beurteilten, früher für die Industrie. Das zeigte 2022 eine britische Studie.
«Behörden müssen Bürger vor Glyphosat schützen»
Für die Experten Knasmüller und Clausing ist klar: Das Prüfverfahren war fehlerhaft. Seit dessen Abschluss erschienen 145 neue Studien zur Giftigkeit von Glyphosat, etliche davon zu Krebs. Alle blieben unberücksichtigt. Clausing fordert nun ein neues Zulassungsverfahren: «Die Behörden müssen die Bürger endlich vor den Gefahren von Glyphosat schützen.»
Die Landi sagt, Roundup sei ein «gebrauchsfertiges Gemisch mit einer tiefen Konzentration an Glyphosat», das amtlich bewilligt und zugelassen sei.