Gefährliche UV-Filter in der Muttermilch», titelte die Südostschweiz am 27. Juni 2008. Die «Basler Zeitung» warnte: «Vorsicht, das Baby trinkt mit.» Und die «Aargauer Zeitung» fragte: «Macht Stillen unfruchtbar?» Anlass der damaligen Schlagzeilen war die Präsentation des Abschlussberichts des Forschungsprogramms «Hormonaktive Stoffe».
Zwischen 2004 und 2006 hatte die Umwelttoxikologin Margret Schlumpf in der Milch von 54 stillenden Müttern aus der Region Basel nach Schadstoffen gesucht. Das Ergebnis: Alle Proben enthielten Pestizide, 85 Prozent hormonaktive UV-Filter. Die meisten Mütter hatten Kosmetika und Sonnencremes mit UV-Filtern benützt.
Die Untersuchung zeigte zudem, dass die Milch meist auch extrem langlebige Umweltgifte wie Dioxin, Polychlorierte Biphenyle (PCBs), Weichmacher oder das Insektengift DDT enthielt. Viele Konzentrationen überschritten die Höchstwerte für die tägliche Aufnahme, welche die Behörden noch für ungefährlich halten.
Seitdem ist es still ums Stillen. Die kantonalen Labore in Zürich und Basel untersuchen seit 2005 keine Muttermilch mehr. Grund: Milch vom Menschen gilt gesetzlich nicht als Lebensmittel und fällt deshalb nicht in die Zuständigkeit der Kantonschemiker. Der Bund liess Muttermilch das letzte Mal im Jahr 2009 analysieren – im Rahmen der Uno-Konvention über sogenannte «persistente organische Schadstoffe» (POPs). Die Schweiz war dieser Konvention 2004 beigetreten.
Der Basler Schadstoffexperte Martin Forter von der Vereinigung «Ärztinnen und Ärzte für den Umweltschutz» wirft dem Bund vor, bei der Sicherheit von Muttermilch «nur das Minimum» zu tun. Für Forter spielen die Behörden die Brisanz des Themas herunter. So behauptete das Bundesamt für Umwelt nach der Veröffentlichung der Resultate in einer Pressemitteilung vollmundig, dass die Konzentration von besonders langlebigen Giften wie PCBs, Dioxinen und Furanen in der Muttermilch aus der Schweiz «zwischen 2002 und 2009 um die Hälfte abgenommen» hätte.
Für die Umwelttoxikologin Schlumpf ist Entwarnung nicht angebracht. Die Forscher des Bundes blendeten das Gros der weiteren in der Muttermilch vorhandenen Fremdstoffe aus. Sie hatten nur nach 14 Schadstoffen und Schadstoffgruppen gesucht. Schlumpf fand allerdings allein in der Basler Muttermilch von 2004 bis 2006 nicht weniger als 79 fremde Substanzen.
Experte Forter kritisiert auch, dass die Forscher des Bundes ihre 54 Muttermilchproben zu einer einzigen «Probe» zusammenmixten. Die Forscher konnten deshalb keine Aussagen mehr zur individuellen Schadstoffbelastung einzelner Proben machen.
Frühere Tests hatten grosse regionale Unterschiede ergeben. Muttermilch aus Basel enthielt häufig Lindan, eine jahrzehntelang in der Region hergestellte krebserregende Chemikalie. Bei Tests im Jahr 2003 fand das Zürcher Kantonslabor diesen Stoff in regionalen Proben nicht.
Studien zeigen: Chemikalien könnten Hormonsystem stören
Die grüne St. Galler Nationalrätin und Ärztin Yvonne Gilli forderte im vergangenen September in einer Motion: «Der Bundesrat soll die Muttermilch differenzierter prüfen als bisher.» Er müsse ausserdem dafür sorgen, dass die Kantonalen Labore die Giftbelastung der Muttermilch ohne Mix-Proben untersuchen. Nötig sei auch, dass die Tester den hormonaktiven Stoff Triclosan unter die Lupe nähmen, der in Verdacht steht, Brustkrebs auszulösen und Resistenzen gegen Antibiotika zu provozieren (saldo 14/14).
Auch Toxikologin Margret Schlumpf verlangt, dass die Schweiz «endlich schaut, was alles in der Muttermilch ist». Sie betont, dass inzwischen Dutzende internationaler Studien die Gefährlichkeit hormonaktiver Schadstoffe für Kinder aufzeigten. Viele der Chemikalien könnten das Hormonsystem stören und Betroffene später an Aufmerksamkeitsstörung, geringer Spermienzahl, Fettleibigkeit, Allergien und sogar Tumoren leiden. Bund und Kantone sollten daher die Muttermilch aus allen Landesteilen regelmässig auf eine breite Palette von Schadstoffen testen. Nur so liessen sich die Giftquellen identifizieren.
Martin Forter fordert die Behörden in einem nächsten Schritt auf, besonders gefährliche Stoffe wie Triclosan zu verbieten.