Der Ständerat wird sich im Frühjahr mit Arzneimitteln gegen seltene Krankheiten beschäftigen. Das sind Leiden, an denen höchstens einer von 2000 Menschen erkrankt (saldo 13/13). Der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner behauptet gegenüber saldo, dass in der Schweiz «infolge geringer Patientenzahlen für die forschende Pharmaindustrie keine genügend grossen Anreize bestehen, solche Medikamente auf den Markt zu bringen».
Das stimmt offenbar nicht, wie offizielle Zahlen zeigen: Die Zulassungsbehörde Swissmedic zählte vor zehn Jahren erst 6 entsprechende Medikamente. Doch 2014 waren es bereits 138.
Klinische Tests sollen 15 Jahre unter Verschluss bleiben
Im letzten Sommer schaffte Frehner mit der SVP und einer Mehrheit von FDP und CVP im Nationalrat dennoch einen Coup: Im Heilmittelgesetz steht neu, dass ein Hersteller eines frisch zugelassenen Präparates gegen eine seltene Krankheit sein Produkt zehn Jahre lang als einziger in der Schweiz verkaufen darf. Das bedeutet: Medikamente von Konkurrenten sind in dieser Zeit nicht zum Verkauf zugelassen.
Der Ständerat lehnte diese Behinderung des Wettbewerbs im September mit 25 zu 16 Stimmen ab. Im Dezember lenkte der Nationalrat ein: Statt ein Monopol will er einen sogenannten Unterlagenschutz einführen: Konkurrenten sollen 15 Jahre lang nicht auf die für eine Zulassung nötigen Daten von klinischen Tests zugreifen dürfen.
Seltene Krankheiten schon heute ein lukratives Geschäftsfeld
Das behindert die Lancierung von neuen Arzneien. Dabei bräuchte es mehr Wettbewerb. Denn Medikamente gegen seltene Leiden sind extrem teuer. Die zehn teuersten Präparate, welche die Krankenkasse Helsana 2013 vergütete, kosteten zwischen 446 000 und 779 000 Franken im Jahr – pro Patient. Alle zehn waren Arzneimittel gegen seltene Leiden (saldo 4/14). Die Preise sind so hoch, weil es an Konkurrenz fehlt. Die Hersteller können daher ihre Preise gegenüber Behörden leichter durchsetzen, selbst wenn der Nutzen umstritten ist (siehe Unten). Präparate gegen seltene Leiden sind laut der britischen Marktforschungsfirma Evaluate Pharma weltweit im Durchschnitt 14 Mal teurer als andere Medikamente.
Die Hersteller geniessen weitere Vorteile. Swissmedic muss bei diesen «wichtigen» Medikamenten auf Gebühren verzichten. Das Institut verlangt nur Tests mit vergleichsweise wenigen Personen und bearbeitet die Anträge rascher.
Vorbild ist die USA. Das Land fördert seit 1983 die Entwicklung der Spezialmedikamente, etwa durch beschleunigte Verfahren, Beihilfen oder Marktmonopole. Das zahlt sich für die Hersteller aus. Medikamente gegen seltene Leiden verursachen laut Evaluate nur halb so viel Entwicklungskosten, bringen aber doppelt so viel Gewinn wie andere Präparate. Weltmarktführer bei diesen Medikamenten sind Novartis und Roche.
Mit einer Salamitaktik lassen sich Gewinne hochschrauben
Viele Firmen nutzen die Sonderförderung aus. Der kanadische Politologe Marc-André Gagnon erklärte jüngst in der französischen Fachzeitschrift «Prescire», dass viele Hersteller auf eine «Salamitaktik» setzen: Sie definieren die Zielgruppe ihres neuen Produkts zuerst so klein, dass es offiziell als Medikament gegen seltene Leiden durchgeht. Später reicht die Firma weitere Anträge für andere kleine Patientengruppen nach.
So liess Novartis das Krebsmedikament Glivec in der Schweiz und in den USA gegen sieben Krankheiten registrieren. Die Firmen profitieren so von vereinfachten Verfahren, geringen Gebühren und hohen Preisen. Patienten haben davon jedoch nichts, denn die Medikamente wären auch sonst auf den Markt gekommen.
Segnet das Parlament nun die Monopollösung oder den Unterlagenschutz ab, werden nicht mehr neue Produkte auf den Schweizer Markt kommen. Er ist schon heute attraktiv genug.
Die grüne St. Galler alt-Nationalrätin und Ärztin Yvonne Gilli kritisiert, dass die neue Regelung den Herstellern noch mehr Vorteile bringt und sie weiter «krass überhöhte Preise für bestimmte Arzneimittel verlangen» können. Die Rechnung dafür zahlen die Prämienzahler.
Zweifel an der Wirksamkeit
Die Krankenkassen wollen das Medikament Myozyme nicht länger uneingeschränkt bezahlen. Der Krankenkassenverband Santésuisse beantragte Ende Jahr beim Bundesamt für Gesundheit eine Überprüfung der Erstattungspflicht. Santésuisse begründet dies mit dem «Verdacht auf mangelhafte Wirkung» des Medikaments für jugendliche und erwachsene Patienten, die an der seltenen Muskelkrankheit Morbus Pompe leiden. Laut Verband fehlen Beweise, dass das Präparat wirklich hilft – etwa um den Abbau der Muskelkraft zu stoppen. Ein nur geringer Nutzen rechtfertige die hohen Kosten für die Grundversicherung nicht. Bei Kindern ist die Wirkung unbestritten. Laut den Versicherern Helsana und Concordia kostet die Behandlung pro Patient jährlich 430 000 Franken. 2014 erhielten in der Schweiz 22 Erwachsene zeitweise das Präparat.
Die Kassen zahlten dafür 5,2 Millionen Franken.
Hersteller Genzyme/Sanofi erklärt auf Anfrage, dass «die positiven Wirkungen der Therapie» bei Erwachsenen und Jugendlichen belegt seien.