Um acht Uhr soll die Verhandlung vor dem Bezirksgericht Weinfelden starten. Der Kläger, ein 56-jähriger ehemaliger Angestellter eines Weinhandelsunternehmens, sitzt allein im Vorzimmer. Die Gerichtsweibelin schaut vorbei: «Der Beklagte ist noch nicht aufgetaucht, wir warten die übliche Respektviertelstunde ab», sagt sie. Um 8.15 Uhr eröffnet die Einzelrichterin die Verhandlung. Der einzige Verwaltungsrat des Unternehmens, ein 45-jähriger Österreicher, ist noch immer nicht da.
Die Richterin sagt, man habe die Vorladung im Amtsblatt publiziert, weil den Behörden keine Zustelladresse bekannt sei. Der Weinhändler fehle somit unentschuldigt. Darauf bittet die Richterin den 56-Jährigen, seine Klage zu begründen. Er sei von Februar bis September 2023 als Geschäftsführer angestellt gewesen, sagt der Kläger. In den letzten beiden Monaten habe er keinen Lohn bekommen. Im Arbeitsvertrag seien 12'500 Franken brutto pro Monat vereinbart worden. Zudem warte er immer noch auf die Vergütung von Spesen von mehr als 900 Franken. Insgesamt fordert er knapp 26'000 Franken.
«Der Lohn wurde nur im ersten Monat pünktlich überwiesen»
Das 2022 gegründete Unternehmen zählte neben dem Kläger fünf weitere Angestellte. «Unsere Aufgabe war es, international eine Weinmarke aufzubauen und Weingüter zu vertreiben», erklärt er auf Nachfrage der Richterin.
Das Unternehmen sei vom Österreicher «ziemlich engmaschig geführt» worden. Er selbst habe als Geschäftsführer stets das Okay des Chefs einholen müssen, sei es für einzelne Produktionsschritte wie Abfüllungstermine oder für die Anstellung neuer Leute. Oft sei er auch unter wegs gewesen, so für die Präsenz an Weinmessen, den Kontakt mit Winzern – und auf der Suche nach Weingütern, die zum Verkauf standen.
Mysteriöse Abreise des Chefs mitsamt der Familie nach Dubai
Die Richterin will wissen, ob der Lohn sonst regelmässig überwiesen worden sei. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: «Nein.» Nur im ersten Monat sei das Salär pünktlich auf dem Konto gewesen. Nachher sei das Geld meist mit etwa einer Woche Verspätung eingetrudelt. «Wir wurden stets vertröstet.» Und dann ging es Knall auf Fall: Mitte Juli sei der Chef ohne Vorankündigung über Nacht mitsamt Familie und Hausrat nach Dubai abgereist. «Ende August erhielt ich per E-Mail dann eine Änderungskündigung», erzählt der 56-Jährige.
Die neuen Vertragsbedingungen seien inakzeptabel gewesen. Deshalb habe er hingenommen, dass der Arbeitsvertrag nach der vereinbarten einmonatigen Kündigungsfrist auf Ende September aufgelöst wurde. Ein Arbeitszeugnis habe er verlangt, aber nie erhalten. «Haben Sie seit September vom Beklagten etwas gehört?», fragt die Richterin. Denn auch andere Gläubiger suchen den Österreicher. Darunter seine einstige Zürcher Wohngemeinde.
Sie erwirkte laut Amtsblatt vom September 2023 eine Sicherstellungsverfügung über 670'000 Franken wegen Steuerschulden. Der Kläger sagt, er wisse nicht, wo genau in Dubai sein Ex-Chef sei. Er habe ihn über die Mailadresse der Weinhandelsfirma im Oktober noch erreichen können. Das Urteil des Gerichts folgt schriftlich. Es verpflichtet das Unternehmen, zwei Monatslöhne zu 12'500 Franken nebst 5 Prozent Zins ab dem ersten Tag des Folgemonats zu zahlen.
Zudem muss es die Spesen vergüten, ein wohlwollendes Arbeitszeugnis ausstellen und dem Ex-Geschäftsführer 100 Franken Entschädigung für die Gerichtsverhandlung zahlen.
Sofort handeln, wenn Lohn ausbleibt
Arbeitgeber müssen den Lohn bis am letzten Tag des Monats zahlen. Ist das Geld dann nicht auf dem Konto, sollten Angestellte den Betrieb sofort per Einschreibebrief mit kurzer Zahlungsfrist mahnen.
Bleibt der Lohn weiterhin aus, kann man die Summe per Betreibung oder mit einer Klage beim Gericht am Arbeitsort oder Sitz des Unternehmens einfordern. Bei arbeitsrechtlichen Verfahren bis zu einem Streitwert von 30'000 Franken erheben die Gerichte keine Gebühren.
Wenn ein Unternehmen Konkurs geht und kein Geld mehr vorhanden ist, springt die Insolvenzentschädigung der Arbeitslosenversicherung beim Lohn ein. Sie zahlt höchstens vier Monatslöhne zu maximal 12'350 Franken.