Der Koch erscheint ohne Anwalt. Der 27-Jährige spricht kein Deutsch. Er hat die Klage ohne Begründung und ohne Beweismittel eingereicht. Ohne Anwalt ans Gericht zu gelangen ist möglich: Auch Leute ohne Rechtskenntnisse können einen Prozess führen. Bei einer arbeitsrechtlichen Forderung bis zu 30'000 Franken muss das Gericht den Sachverhalt und die Beweismittel abklären.
Das gestaltet sich als schwierig. Ein Dolmetscher übersetzt die Fragen des Gerichts und die Antworten des Klägers. Langsam schält sich heraus, was der Mann genau fordert. Er arbeitete neun Monate lang als Stationschef in der Küche des italienischen Restaurants, wo er für die kalten Speisen verantwortlich war. Dann wurde er mit dem ganzen Team entlassen. Der Betrieb habe den Monatslohn von 4700 Franken oft zu spät und tranchenweise bezahlt. Er habe 10'400 Franken zu wenig erhalten.
Doch der Koch verstrickt sich in Widersprüche. Es geht darum, wann genau er eine Tranche von 500 und eine von 3000 Franken erhielt. Er gesteht: «Ich bin nicht mehr sicher.» Noch offen seien auch der 13. Monatslohn, 8 Tage Ferien und 75 Überstunden. Insgesamt fordert er 17'641 Franken. Der Kläger übergibt der Richterin einen Stapel Papier mit Arbeitsvertrag, Lohnabrechnungen, Bankauszügen und der Arbeitszeiterfassung.
«Alle Angestellten waren mit der Lohnsenkung einverstanden»
Die Firma, die das Restaurant betrieb, lässt sich am Gericht durch eine Anwältin vertreten. Diese beantragt, die Klage sei abzuweisen. Das Restaurant sei nicht wie erwünscht gelaufen. Die Coronapandemie habe die Gastronomie gebremst. Die Geschäftsführer hätten sich monatlich mit allen Angestellten zusammengesetzt. Wegen des guten Betriebsklimas seien alle einverstanden gewesen, den Lohn vorübergehend zu senken. Sonst hätte man den Betrieb sofort einstellen müssen. Leider sei der Umsatz tief geblieben. Schliesslich habe man alle Mitarbeiter entlassen müssen.
Die Anwältin behauptet: «Der Kläger war mündlich mit der Anpassung des Vertrags einverstanden.» Es sei «rechtsmissbräuchlich», dass er nun nachträglich Lohn fordere. «Hätte er das während des Arbeitsverhältnisses getan, hätte man ihn entlassen.» Zudem habe er keine Überstunden geleistet, «der Betrieb lief ja schlecht». Die Ferien habe der Koch bereits bezogen. Er habe die Betriebsferien Anfang Januar verschwiegen. Mittlerweile habe der Betrieb das Konzept überarbeitet und eine neue Belegschaft angestellt. Das Restaurant laufe zum Glück besser. Nun unterbricht die Richterin die Verhandlung. Sie studiert die eingereichten Akten.
Unterschiedliche Versionen der Lohnabrechnungen
Nach der Pause schildert die Richterin ihre vorläufige Beurteilung. Der Kläger und die Beklagte hätten unterschiedliche Lohnabrechnungen eingereicht. Die Abrechnungen des Betriebs würden jedoch alle dasselbe Datum von Januar 2024 tragen, das spreche gegen ihre Glaubwürdigkeit. Die Bankbelege des Kochs zeigten demgegenüber, dass er nicht den volle Lohn erhalten habe. Das Restaurant könne nicht beweisen, dass er freiwillig auf Lohn verzichtet habe.
«Schriftliche Verträge sollte man grundsätzlich auch schriftlich abändern», empfiehlt sie der Beklagten. Der unbezahlte Lohn bleibe somit geschuldet. Auch die Überstunden habe der Koch nachgewiesen, denn beide Parteien hätten die Arbeitszeiterfassung visiert. Die Ferien habe der Angestellte hingegen vollständig bezogen. Die Richterin schlägt vor, den Fall mit einer Zahlung von 14'000 Franken zu erledigen.
Beide Parteien sind mit dem Vorschlag einverstanden. Laut der Anwältin der Beklagten sei es dem Betrieb nicht möglich, alles auf ein Mal zu zahlen. Das Restaurant verpflichtet sich, den geschuldeten Betrag in zwölf Monatsraten abzustottern. Gerichtskosten fallen bei Arbeitsstreitigkeiten bis 30'000 Franken keine an.
Das können Angestellte bei Lohnausständen tun
Zahlt der Betrieb den Lohn nicht wie vereinbart, können Angestellte ihm eine kurze Frist, etwa von 10 Tagen, ansetzen und androhen, dass sie ohne Zahlung die Arbeit niederlegen. Geht der Betrieb in Konkurs, haben Angestellte Anspruch auf eine Insolvenzentschädigung durch die Arbeitslosenversicherung. Sie zahlt höchstens den Lohn für vier Monate. Wichtig: Bei Lohnausständen sollte man den offenen Lohn regelmässig einfordern, also den Betrieb mahnen, ihn betreiben oder bei der Schlichtungsstelle am Ort des Arbeitsplatzes die Forderung geltend machen.