Der Streit vor dem Bezirksgericht Zürich hat eine lange Vorgeschichte: Ein Zürcher Anwalt machte im Sommer 2022 eine vierwöchige Reise durch Madagaskar. Es sollte eine Traumreise werden mit Trekkingtouren und Strandaufenthalten, auch auf Nebeninseln des Staats im Indischen Ozean. Die Rundreise im Land buchte er bei einem Reisebüro, die internationalen Flüge separat bei zwei Reiseveranstaltern.
Er gab seinen Koffer am Flughafen Zürich auf mit dem Ziel Antananarivo in Madagaskar. Dort kam das Gepäck jedoch nie an.
Der Anwalt erfuhr nach den Ferien, dass der Koffer wohl wegen einer Verwechslung bei einer Zwischenlandung in Mailand nicht nach Antananarivo mit dem Flughafen-Code TNR, sondern nach Turin mit der Abkürzung TRN geschickt wurde. Er hatte den Flug von Zürich über Mailand nach Addis Abeba in Äthiopien und zurück telefonisch beim Prämienprogramm der Lufthansa-Tochter Miles & More GmbH gebucht. Die Flüge ab Mailand führten die Ethiopian Airlines durch. Der Anwalt klagte vor dem Bezirksgericht Zürich gegen die beiden Fluggesellschaften.
Von den Ethiopian Airlines forderte er 172 Franken. So viel kosteten die Kleider und Körperpflegeprodukte, die er am Ankunftsort kaufte. Von Miles & More forderte er 70'000 Prämienmeilen zurück. Das war der Preis für die Reise von Zürich nach Addis Abeba und retour. Laut Kläger hatte der Flug in der Businessklasse einen Wert von 4000 Franken.
Kläger vermisste Taucherbrille, Trekkingausrüstung und Pullis
Das Bezirksgericht Zürich tagt wegen eines Umbaus in einem Bürogebäude im Norden der Stadt. Vor Gericht erscheint einzig der Kläger. Die Ethiopian Airlines bezahlten die 172 Franken zwei Wochen vor der Verhandlung. Miles & More schrieb, das Gericht sei für den Streit nicht zuständig. Laut den Vertragsbedingungen müsse der Kläger in Frankfurt klagen, dem Firmensitz in Deutschland.
Der Kläger wehrt sich in seinem Plädoyer. Er sammle als Konsument beim Einkaufen Meilen für das Treueprogramm Miles & More. Mit den Meilen könne er Flüge oder Waren zahlen. Er dürfe als Konsument die Klage beim Gericht an seinem Wohnort einreichen. Auf den Vertrag sei aber deutsches Recht anwendbar, denn Miles & More erbringe seine Dienstleistung in Deutschland.
Das Oberlandesgericht Celle in Deutschland habe 2022 entschieden, die Gepäckbeförderung sei bei einer Flugreise neben dem Personentransport «eine zweite Hauptpflicht». Das Gericht habe einem Passagier die Erstattung des vollen Preises des Hinflugs zugesprochen, führt der Anwalt aus. Denn ein längerer Aufenthalt ohne Gepäck in einem «kulturell fremden Land» komme «einer Nichtreise» gleich. Er habe die Rundreise mit etwas Handgepäck und ein paar T-Shirts vom Markt antreten müssen.
Das «spezifisch für diese Reise zusammengestellte Gepäck» habe ihm gefehlt: die Trekkingausrüstung, die Taucherbrille mit Korrekturgläsern, Pullover für kalte Nächte. Auch auf die Malariaprophylaxe habe er verzichten müssen. Der Kläger kritisiert: «Besonders stossend war, dass mir die Airlines bis vor der Gerichtsverhandlung nicht einmal geantwortet haben.» Immerhin habe er den Koffer nach der Reise zurückerhalten.
Flug ohne Gepäck nach Ansicht des Richters nicht wertlos
Der Einzelrichter schliesst die Verhandlung und schickt den Parteien das Urteil per Post. Darin heisst es, für die Klage gegen die deutsche Firma Miles & More sei das Gericht nicht zuständig. Wer bei einer ausländischen Firma eine Flugreise buche, müsse laut internationalen Abkommen am Sitz des Beklagten oder am Ort des Flughafens klagen. Nur bei Pauschalreisen hätten die Kunden das Recht, beim Gericht an ihrem Wohnort zu klagen.
Und selbst wenn das Schweizer Gericht zuständig wäre, hätte der Passagier keinen Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises. Denn in der Schweiz wäre Schweizer Recht anwendbar. Laut Schweizer Recht sei ein Flug ohne Gepäck nicht wertlos.
Die Gerichtskosten belaufen sich auf 885 Franken. 849 Franken muss der zum grössten Teil unterliegende Anwalt zahlen, 36 Franken haben die Ethiopian Airlines zu tragen.
Der Zürcher Anwalt gibt jedoch nicht auf. Er zieht den Fall an das Obergericht Zürich weiter und reichte eine neue Klage gegen Miles & More beim Bezirksgericht Bülach ein, das für Kloten, den Ort des Flughafens zuständig ist.
Fehlendes Gepäck: Ihre Rechte
Kommt das Reisegepäck nach einem Flug verspätet an, muss die Fluggesellschaft den Passagieren die Kosten für notwendige Einkäufe am Ankunftsort erstatten. Bei Verlusten und Verspätungen von Gepäck schulden Fluglinien bis zu 1543 Franken Schadenersatz pro Gepäckstück.