Man pflege eine gute Nachbarschaft: «Wären da nur nicht diese 16 Meter hohen Tannen, die uns regelrecht die Sonne vorenthalten!» Die Frau, die das sagt, sitzt zwischen ihrem Mann und ihrem Rechtsanwalt im Verhandlungssaal des Richteramts Olten-Gösgen SO.
Das Paar klagt gegen seinen Nachbarn. «Die Tannen werfen einen massiven Schatten auf unser Grundstück», sagt die Frau. «Mitten im Sommer muss ich zur Wolldecke greifen, um am Pool nicht zu frieren.» Ausserdem müsse man den Swimmingpool permanent heizen. «Das geht so nicht mehr weiter. Die Bäume müssen gefällt werden.»
Ihr Mann erklärt dem Richter, der Schatten falle im Sommer bereits ab 14 Uhr auf grosse Teile des Gartens, der Dachterrasse sowie der Wohnräume, in denen sie sich während des Tags aufhielten. «Der Poolbereich ist bereits ab den Nachmittagsstunden komplett beschattet, und das schränkt den Aufenthalt und Veranstaltungen im Freien massiv ein.»
Als Beweis dafür legt der Anwalt des Paars dem Gericht neben Fotos auch ein Gutachten vor, das zum Schluss kommt, dass der übermässige Schattenwurf unzumutbar ist. «Die Tannen wirken wie eine Mauer», sagt der Anwalt. Und das Grundstück seiner Mandanten sei aus einem weiteren Grund praktisch unbrauchbar: Die Baumwurzeln würden über dem Boden auf ihr Grundstück wachsen und dieses destabilisieren, wodurch geplante Bauvorhaben nicht umsetzbar seien.
Rechtsanwalt plädiert für «nachbarschaftliche Toleranz»
Der Beklagte sitzt unbeeindruckt auf seinem Platz und verzieht während der ganzen Gerichtsverhandlung keine Miene. Der Geschäftsmann ist seit 2016 Eigentümer des Nachbargrundstücks.
Sein Anwalt erklärt, der Schattenwurf sei keinesfalls übermässig und eine natürliche Folge des Baumbestands. «Die Bäume stehen seit über 65 Jahren dort. Es gab nie Probleme, bis die Kläger 2020 neben an ihr Haus bauten.» Die ländliche Wohngemeinde sei von vielen Bäumen geprägt und zeichne sich durch eine dichte Bebauung in Hanglage aus. Die meisten Bäume stünden innerhalb der Grundstücksgrenzen, «in solchen Fällen muss man auf nachbarschaftliche Toleranz setzen.»
Der Richter will vom Beklagten wissen, ob er sich vorstellen könne, die Tannenbäume zu fällen. «Niemals», sagt dieser. Die Tannen seien Bestandteil seiner Lebensqualität. «Wenn die Bäume weg sind, verkaufe ich mein Haus», sagt er. Die Bäume seien zudem ortsüblich und ein wesentlicher Sichtschutz, der nicht leicht zu ersetzen sei. Sein Rechtsanwalt fügt an, «mit einer Grundstücksgrösse von 650 Quadratmetern haben die Kläger ausreichend Platz, um die Sonne zu geniessen».
Der Anwalt des Ehepaars entgegnet, ein Sichtschutz zu benachbarten Häusern könne auch auf andere Weise gesichert werden. «Es braucht dazu doch nicht 16 Meter hohe Tannen, deren Äste weit in das Grundstück meiner Mandanten hineinragen und sich so weit herabneigen, dass ein Durchgang nahezu unmöglich wird!»
Kläger wollen sich nicht an Kosten beteiligen
Der Anwalt des Beklagten schlägt ihm vor, die Bäume ganz leicht zu stutzen, Äste abzuschneiden und Wurzeln zurückzuschneiden. Sein Mandant ergänzt: «Aber nur in Zusammenarbeit mit einer Fachperson, um sicherzustellen, dass die Bäume keinen Schaden nehmen und auch die ästhetische Gestaltung nicht beeinträchtigt wird.» Die Kläger müssten sich aber an den Kosten beteiligen. Für das Paar kommt eine solche Beteiligung nicht in Frage, es lehnt den Vorschlag ab.
Das Urteil des Einzelrichters folgt schriftlich: Die «Emissionen von Schatten, Nadeln und Wurzeln» seien übermässig. Er verpflichtet den Beklagten, die Äste vom Boden bis auf eine Höhe von drei Metern zu entfernen. Und einer der vier Bäume, der besonders dichten Schatten wirft, muss vollständig entfernt werden.
Diese Fristen gelten für das Fällen von Bäumen
Wie nah ein Baum am Nachbargrundstück stehen darf, regeln die Kantone sehr unterschiedlich. Meist muss der Nachbar die Entfernung eines zu nahe stehenden Baums innert einer bestimmten Frist verlangen:
- In Appenzell Ausserrhoden, Bern, Glarus, Graubünden, Schaffhausen, Uri, Wallis und Zürich gilt eine Frist von fünf Jahren, in Basel-Landschaft und Luzern von zehn Jahren.
- Keine Verjährungsfrist kennen Aargau, Appenzell Innerrhoden, BaselStadt, Nidwalden, St. Gallen, Thurgau und Zug.