Rund vier Jahre lang arbeitete eine Frau als Betreuerin in einer sozialen Einrichtung in Bülach ZH. Der Betrieb attestierte der heute 45-Jährigen «jederzeit sehr gute Leistungen». Sie erhielt mehrere Lohnerhöhungen, wie ihre Anwältin dem Richter des Bezirksgerichts Bülach darlegt. Doch dann führte die Corona-Pandemie zu massiven Differenzen.
Der Chef verlangte von der Betreuerin im Oktober 2021 einen wöchentlichen Spucktest, weil sie nicht geimpft war. Die Frau war damit nicht einverstanden. Sie habe eine Gleichbehandlung aller Angestellten verlangt, sagt ihre Anwältin: «Sie war von Covid genesen, und es war damals schon klar, dass auch Geimpfte andere Personen anstecken können.»
Die Betreuerin sei zu Tests bereit gewesen, wenn sich auch die geimpften Angestellten dem Spucktest unterzogen hätten. Das aber wollte der Chef nicht. Stattdessen schickte er ihr eine schriftliche Abmahnung. Eine Woche später doppelte er nach und drohte eine fristlose Kündigung an. Am 1. November 2021 machte er die Drohung wahr. Die Frau stand auf der Strasse und erhielt keinen Lohn mehr.
Bis dahin hatte sich die Ausgangslage jedoch verändert. Einen Tag nach der ersten Abmahnung hatte der Bundesrat angekündigt, er wolle für Covid-Genesene ein von 180 auf 365 Tage verlängertes Zertifikat einführen. Es sollte also gleich lang gültig sein wie das Zertifikat für Geimpfte. Grund war die Erkenntnis, dass der Schutz von Genesenen mindestens so gut sei wie derjenige von Geimpften. Die Anwältin der Klägerin reicht als Beweis die Medienmitteilung vom 20. Oktober 2021 ein.
Opfer einer «unzulässigen Gesinnungskündigung»
Zwei Tage nach der Entlassung der Betreuerin fällte der Bundesrat den angekündigten Entscheid. Ab diesem Zeitpunkt wäre die Frau vom Spucktest befreit gewesen. Das vermochte den Chef jedoch nicht umzustimmen. Er habe der Frau mitgeteilt, es sei ihm «wichtig, ein Team zusammenzustellen, das in den wesentlichen Punkten gleicher Meinung ist».
Für die Anwältin zeigen diese Worte, dass ihre Klientin Opfer einer «unzulässigen Gesinnungskündigung» geworden sei. Die soziale Einrichtung habe zudem das Gebot der schonenden Rechtsausübung verletzt. Für die wenigen Tage bis zum Wegfall der Testpflicht wäre eine Übergangslösung möglich gewesen, etwa Homeoffice oder Arbeiten im Aussenbereich.
Die ehemalige Betreuerin fordert nun 29'400 Franken: 18'800 Franken oder dreieinhalb Monatslöhne als Entschädigung für die ungerechtfertigte fristlose Entlassung sowie 10'600 Franken als Schadenersatz für den Lohn während der ordentlichen dreimonatigen Kündigungsfrist respektive für die Differenz zum tieferen Verdienst am neuen Arbeitsort.
Der Anwalt des Arbeitgebers beantragt, die Klage abzuweisen. Es handle sich um eine «mustergültig schonende Kündigung». Die soziale Einrichtung sei kantonal subventioniert. Deshalb sei sie verpflichtet gewesen, die Tests so durchzusetzen, wie es die kantonale Covid-Verordnung für den Gesundheitsbereich verlange. Die Spucktests seien verhältnismässig gewesen. Der Anwalt beschuldigt die Betreuerin der «Arbeitsverweigerung». Mit ihrem Widerstand habe sie «ihre faktische Arbeitsunfähigkeit herbeigeführt».
Sieben Monate nach der Verhandlung ergeht das schriftliche Urteil. Das Bezirksgericht Bülach weist die Klage der Betreuerin ab. Es hält die fristlose Entlassung für gerechtfertigt. Das Verhalten der Klägerin sei im Kontext der Pandemie geeignet gewesen, das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber zu erschüttern. Die angekündigte Verlängerung der Genesenen-Zertifikate sei keine hinreichend verbindliche Grundlage gewesen, «um das Verhalten im Rechtsverkehr danach auszurichten».
Eine Gerichtsgebühr entfällt, wie bei allen arbeitsrechtlichen Klagen unter 30 '00 Franken. Die Klägerin muss der Ex-Arbeitgeberin 4900 Franken für Anwaltskosten zahlen. Sie akzeptiert das Urteil nicht und zieht den Fall ans Obergericht weiter.
Kündigung: Schadenersatz und Entschädigung
Bei einer fristlosen Kündigung ist das Arbeitsverhältnis sofort beendet – egal, ob die Kündigung berechtigt ist oder nicht. Eine Pflicht zur Weiterbeschäftigung besteht auch dann nicht, wenn ein Gericht später die fristlose Entlassung als unrechtmässig beurteilt.
Hingegen hat man Anspruch auf Schadenersatz, wenn man zu Unrecht fristlos entlassen worden ist. Das heisst, das Unternehmen muss den bisherigen Lohn bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nachzahlen. Dazu kommt eine Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen.
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