Eigentlich ist der Fall klar: Wer in der Schweiz persönliche Daten speichert, muss auf Antrag einer Person über alle vorhandenen Daten Auskunft geben. So steht es in Artikel 8 des Datenschutzgesetzes.
Das Gesetz gilt auch für Telekomfirmen: Wer wissen will, welche persönlichen Daten ein Telefon-, Mobilfunk- oder Internetunternehmen speichert, kann Auskunft verlangen.
Die Homepage des Datenschutzbeauftragten bietet einen entsprechenden Musterbrief an (www.edoeb.admin.ch /Datenschutz/Musterbriefe). Er sollte innert 30 Tagen vom angefragten Unternehmen beantwortet werden.
Tatsache ist jedoch: Weder Swisscom, Orange, Sunrise noch Cablecom geben Auskunft über sämtliche gespeicherten Daten. Dies zeigen entsprechende Antwortschreiben an Kunden, die mit ihren Einsichtsbegehren abgeblitzt sind. Die Telekomfirmen bestätigen dies gegenüber saldo.
Die Behörden verlangen von den Telekomunternehmen, dass sie zu jedem Kunden einen umfassenden Datensatz sechs Monate lang speichern. Das nennt sich Vorratsdatenspeicherung. Die Strafverfolgungsbehörden können rückwirkend Daten herausverlangen.
Ganze Teams hören Telefone ab und werten Daten aus
Der Datensatz umfasst unter anderem die Rufnummern von SMS- oder Telefonpartnern sowie Zeit, Ort und Dauer der Verbindung. Im Mobilfunk werden auch die Standortdaten aufgezeichnet, da sich ein Handy über die Sendermasten präzise orten lässt. Internetanbieter speichern unter anderem E-Mails.
Die Telefongesellschaften beschäftigen rund um die Uhr ganze Teams, die auf Geheiss der Behörden Telefongespräche abhören oder Daten auswerten. Bis zu 13 Vollzeitangestellte pro Gesellschaft machen nichts anderes, als die Kunden auszuspionieren.
Und die Überwachungsaufträge der Behörden nehmen laufend zu: Im letzten Jahr mussten die Telefonfirmen in 6915 Fällen die Daten zum Surf- und Telefonverhalten herausrücken – das sind satte 81 Prozent mehr als vor zehn Jahren.
Die Behörden erhalten die Kundendaten im Normalfall nur, wenn ein Verdacht vorliegt. Eine Ausnahme bildet die Rasterfahndung: Dann muss die Telefongesellschaft die Daten aller Kunden liefern, deren Handy sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befunden hat.
«Diese Daten sind nicht harmlos. Sie lassen tiefe Einblicke in das Privatleben zu und ermöglichen genaue Persönlichkeits- und Bewegungsprofile», sagt der Zürcher Rechtsanwalt Viktor Györffy. Wer diese Daten sammle, greife in die Grundrechte der Bürger ein.
Györffy ist Präsident von Grundrechte.ch. Der Verein wehrt sich gegen die Datensammlungen. Die flächendeckende und präventive Überwachung der Bevölkerung beeinträchtige das Recht auf den Schutz der Privatsphäre, argumentieren die Bürgerrechtler. Das Fernmeldegeheimnis in der Verfassung garantiere, dass man kommunizieren könne, ohne abgehört oder vorsorglich beobachtet zu werden. Doch mit der Vorratsdatenspeicherung werde jede Person als potenzieller Straftäter betrachtet.
Der Verein steht mit dieser Auffassung nicht allein: Im April hat der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt. Sie verletze die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und den Schutz persönlicher Daten. Die Richter kamen zum Schluss, dass aus diesen Daten «sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben einer Person gezogen werden können – auf die Gewohnheiten des täglichen Lebens, Aufenthaltsorte, ausgeübte Tätigkeiten oder soziale Beziehungen». Derart schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte seien nicht zu rechtfertigen.
Györffy kritisiert zudem, dass das verweigerte Auskunftsrecht gegenüber den Kunden und die Verheimlichung der gespeicherten Daten den Eingriff in die Grundrechte verstärke.
Datenschützer: Kunden haben Anspruch auf vollständige Auskunft
Auch der Eidgenössische Datenschützer kritisiert die Auskunftsverweigerung der Telekomunternehmen ungewohnt harsch: Die Betroffenen hätten Anspruch auf eine vollständige Auskunft darüber, welche Daten über sie bearbeitet werden. «Diese Auskunft darf nur verweigert, eingeschränkt oder aufgehoben werden, wenn es ein formelles Gesetz vorsieht oder es wegen überwiegender Interessen einer Drittperson notwendig ist.» Das sei bei den Vorratsdaten jedoch nicht der Fall.
Swisscom, Orange, Sunrise und Cablecom behaupten dagegen, dass sie nur jene Daten offenlegen müssen, die bereits auf der Telefonrechnung stehen. Cablecom gibt den Kunden in den Antwortschreiben an, dass «externe Auskünfte gemäss aktueller Rechtsprechung ausschliesslich an Untersuchungsbehörden erteilt werden». Swisscom verweist die Kunden an den Dienst für Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs im Justiz- und Polizeidepartement.
Nur: Es gibt weder ein Urteil noch eine «aktuelle Rechtsprechung», welche die Auskunftsverweigerung der Unternehmen abgesegnet hätte. Auch ist der Dienst für Überwachung nicht dafür zuständig. «Weder das Justiz- und Polizeidepartement noch die Fernmeldeüberwachung sind der richtige Adressat, denn sie sind nicht Inhaber der Datensammlung», sagt der Überwachungsdienst.