Zuerst gedachten die Medien der Toten im Ersten Weltkrieg vor 100 Jahren. Dann war das Jubiläum 75 Jahre Zweiter Weltkrieg an der Reihe. Und nun sind auch noch 25 Jahre vergangen, seit die Berliner Mauer fiel. Fast eine Woche mussten sich alle Zeitungsleser, Radiohörer und TV-Zuschauer für dieses Ereignis interessieren. Denn alle Medien zelebrierten den Mauerfall in aller Breite und Ausführlichkeit. Allein Schweizer Radio und Fernsehen hatten seit Ende September mehr als 60 Sendungen mit Interviews, Dokumentationen und Reportagen zum Mauerfall vorbereitet.
Die meisten wählten das bekannte Muster: Die Geschehnisse von früher werden rapportiert. Zeitzeugen berichten über das Erlebte. Und vielleicht gibt es noch Filmausschnitte, Tagebuchaufzeichnungen oder Briefe Verstorbener, mit denen man den Stoff aufpeppen kann. Und Prominente.
Zeitzeugen haben scheinbar dann am meisten zu erzählen, wenn sie heute prominent sind. Aus welchem Grund auch immer. Im «Tages-Anzeiger» etwa kamen der Musiker Udo Jürgens oder der Schriftsteller Silvio Huonder zu Wort. Jürgens erlebte beim Fall der Mauer eine «Explosion», Huonder ein «heilloses Durcheinander». Schlagersänger Peter Maffay kommt in der «Aargauer Zeitung» auf einer ganzen Doppelseite zu Wort. Der Mann, bisher politisch wenig aufgefallen, war damals zwar nicht in Berlin, sondern in München, wo er am Tag nach dem Mauerfall einen Trabant entdeckte: «Da waren sie, die Jungs aus der DDR! Dieses über 40-jährige Gefängnis hat mit einem Schlag zu existieren aufgehört», lautet das schlichte Fazit des Musikers.
Tiefschürfender war nur Banker Oswald Grübel, der in der DDR aufwuchs: «Die Wiedervereinigung war ein grosser wirtschaftlicher Erfolg», schreibt er in der «Schweiz am Sonntag». Dumm nur, dass viele Ostdeutsche das nicht ganz so sehen. Grübel: «Es wird lange dauern, bis die Mauer in allen Köpfen gefallen ist.» Solche Äusserungen verraten dem Leser mehr über die heutige Prominenz als über das historische Ereignis.
«Keine Wende, sondern ein Ausverkauf»
Immerhin: In Einzelfällen sind Erinnerungen von Zeitzeugen auch für die Leserschaft hilfreich. Schriftsteller Wolfgang Bortlik etwa schildert in der «Sonntags-Zeitung» sein zwiespältiges Verhältnis zur DDR anschaulich: «Das war keine Wende, sondern ein Ausverkauf, und zwar des Ostens.»
Die «Ostschweiz am Sonntag» hat aus dem Fall der Berliner Mauer mehr als einen simplen Blick zurück gemacht. «Weltweit leben immer mehr Menschen hinter Betonmauern und Stacheldraht», schreibt das Blatt. Es erinnert daran, dass heute «eine 52 Kilometer lange Sperranlage den gesamten Gazastreifen bis zur ägyptischen Grenze umschliesst». Und: «Auf einer Länge von etwa 709 Kilometern erstreckt sich zwischen Israel und dem Westjordanland eine weitere israelische Sperranlage gegen die Palästinenser.»
Weiter erinnert das Blatt daran, dass in Nordirland immer noch «Peace Lines» katholische und protestantische Wohngebiete separieren. Dass eine Sperranlage Nord- und Südkorea trennt und sich zwischen Indien und Bangladesch «die längste befestigte Grenze der Welt erstreckt». Weitere Sperrgürtel trennen Nord- von Südzypern, Mexiko von den USA usw.
«Die Ostschweiz am Sonntag» hat als eines der wenigen Blätter begriffen, was der Fall der DDR-Mauer für ihre Leser bedeutet: Eine menschenfeindliche Mauer weniger, zahlreiche andere bestehen weiterhin. Und das Interesse der Medien daran hält sich sehr in Grenzen.
Was als Nächstes auf dem Programm steht
Die nächsten Jahrhundertjubiläen stehen schon vor der Tür. 1515 war die Schlacht von Marignano. Linke und rechte Historiker wetzen jetzt schon die Messer für Neutralitätsdebatten. Und 1815 war die Schlacht von Waterloo. Napoleon wurde nach der Niederlage auf die Insel St. Helena im Atlantik verbannt. Man darf sich auf die aktuellen Reportagen über die dortigen Schafherden freuen.