In der Abenddämmerung des 4. April 2016 fährt ein Auto Richtung Wattwil SG. In einer scharfen Linkskurve verliert der Lenker die Kontrolle. Der Wagen prallt gegen einen Holzstamm und überschlägt sich mehrfach. Der Lenker stirbt noch auf der Unfallstelle. Er war 94 Jahre alt. Am 27. Mai kam es auch in Oerlingen ZH zu einem tödlichen Autounfall. Der 88-jährige Lenker fand dabei den Tod.
Beide Senioren steuerten ein Elektromobil «Plus» des Herstellers Kyburz mit Sitz in Freienstein ZH. Das Auto ist 180 cm lang und 167 cm hoch. Gemäss Firmeninhaber Martin Kyburz verkehren in der Schweiz ungefähr 700 «Plus»-Fahrzeuge.
Das Elektromobil «Plus» ist ein sogenanntes Leichtmotorfahrzeug. Diese dürfen höchstens 45 km/h schnell fahren und bis zu 350 Kilogramm wiegen. Wer ein Leichtmotorfahrzeug fährt, muss mindestens den Fahrausweis M (Mofa) besitzen.
«Inakzeptabel hohes Risiko von Verletzungen»
Mit der Sicherheit ist es bei diesen Strassenfahrzeugen nicht weit her. Das zeigen Tests der Konsumentenorganisation Euro NCAP mit Sitz in Brüssel. Sie führte in den letzten zwei Jahren Crashtests mit acht verschiedenen Leichtmotorfahrzeugen durch, darunter drei Elektromobile. Alle waren zwar schwerer als 350 Kilogramm. Dennoch fällt die Bilanz düster aus. Euro NCAP spricht von «inakzeptabel hohem Risiko von schweren oder lebensgefährlichen Verletzungen». Vor allem im Kopfbereich würden die Fahrzeuge kaum Schutz bieten. Die getesteten Fahrzeuge kosten zwischen 3300 und 22 500 Franken.
CVP-Nationalrat will Fahrausweispflicht aufheben
Im oberen Preissegment liegen zwei in der Schweiz beliebte Elektro-Leichtmotorfahrzeuge: Das Modell «GC20D» der österreichischen Firma Graf Carello kostet 19 300 Franken. Es hat eine Reichweite von 60 Kilometern. Das Modell «Plus» von Kyburz kostet 19 900 Franken. Die Reichweite beträgt 100 Kilometer.
Beide Autos wiegen gut 250 Kilogramm. Das ist deutlich weniger als die getesteten Fahrzeuge der Euro NCAP. Umso verheerender wären die Folgen bei einem Unfall.
Nationalrat Martin Candinas (CVP/GR) kümmert das wenig. In der letzten Herbstsession reichte er ein Postulat ein. Seine Forderung: Elektro-Leichtmotorfahrzeuge sollen neu in die Kategorie «Motorfahrrad» eingeteilt werden. Das heisst: Ein Fahrausweis M wäre nicht mehr nötig. Jedermann dürfte die bis zu 45km/h schnellen Fahrzeuge lenken. Auch die bisher obligatorische Haftpflichtversicherung würde wegfallen.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung warnt vor einer solchen Lockerung: «Personen, welche die medizinischen Mindestanforderungen für Personenwagen nicht mehr erfüllen, sollten auch solche Fahrzeuge nicht benutzen.»
Nationalrat Candinas sagt dazu: «Mir ist lieber, wenn Senioren mit den Kleinfahrzeugen mobil sind, als dass sie mit E-Bikes herumfahren. Diese Velos sind noch gefährlicher.»
Der Nationalrat hat dem Postulat zugestimmt. Genauso der Bundesrat. Nun liegt der Ball beim Bundesamt für Strassen. Dieses wird «voraussichtlich» im kommenden Jahr im Rahmen der Revision der entsprechenden Verordnung eine Vernehmlassung durchführen. Abschliessend entscheiden wird dann der Bundesrat.