Donnerstag, Zürich-Hard, 13.31 Uhr: Rund 60 Personen drängen in einen fensterlosen Saal. Schnäppchenjäger, Pensionierte und Flohmarkthändler umschwärmen im Gantlokal Hardau genau 179 Objekte. Alle sind sie fein säuberlich auf einer Liste verzeichnet. Darunter eine Canon-Fotokamera EOS 600, ein Karton mit Sonnenbrillen und eine Golfausrüstung. Es sind nicht abgeholte Fundsachen der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) sowie der Zürcher Stadtpolizei. Mindestpreis an der Versteigerung: 1 Franken.
Die Stimmung während der halbstündigen Begutachtung ist locker und zugleich angespannt. Viele kennen und grüssen sich. Im Gedränge fallen Sprüche. Einige eilen mit dem Verzeichnis der Objekte in den Händen zwischen den Tischen hin und her und machen sich Notizen. Später wird ein Gantbesucher sagen, es sei der Kick, der ihn jede Woche hierhin treibe.
«Rund 80 Prozent sind Stammkunden», sagt Gantleiter Fritz Forrer. Mit vielen ist er per Du. René Bigler (65) kommt seit seiner Frühpensionierung fast jeden Donnerstag an die Versteigerung in die Hardau. Der ehemalige Kaderangestellte der Credit Suisse arbeitete bis vor sechs Jahren am Paradeplatz. Heute kauft und verkauft er Fundsachen und Weine. Als Hobby. Zum Beweis für seine Steigerungserfolge weist er auf sein Schnäppchen am Handgelenk. Eine Hamilton-Uhr, die er für 260 Franken kaufte. Auf dem Internetportal Ricardo könne er diese wohl etwas teurer wieder verkaufen. Er liebe es einfach, hier Leute zu treffen und ab und zu ein Schnäppchen zu machen. Gelegentlich falle er aber auch auf etwas Unbrauchbares herein oder zahle zu viel, gibt Bigler zu.
Die ersteigerten Objekte sind bar zu bezahlen
Um 14.04 Uhr hat Marcel Mauch vom Zürcher Stadtammannamt 5 bereits das erste Objekt versteigert. «1 Bild, Stillleben, signiert Dubois», so das Protokoll, wechselt nach dreimaligem Ausruf des Höchstgebots für 60 Franken den Besitzer. Bezahlt werden muss sofort. Und in bar. Da gebe es keine Ausnahme, sagen die Gantleiter.
In den nächsten zweieinhalb Stunden kommen Smartphones, Weinkisten, Kameras, Münzen, Uhren, Textilien, Trottinette oder Teppiche unter den Hammer. Vieles wird im Multipack versteigert. Handys gibt es zum Beispiel nur im Doppel- oder Dreierpack. Man habe sich den Bedürfnissen der Händler angepasst, erklärt André Vogel von der VBZ. Im Internet versteigert die VBZ die gleichen Artikel einzeln.
Allein in den Fundbüros der Stadt Zürich wurden im letzten Jahr 32 513 Fundgegenstände abgegeben. Rund zwei Drittel davon waren in Bussen und Trams der VBZ liegen gelassen worden, rund ein Drittel auf öffentlichem Grund. 55 Prozent der Fundgegenstände konnten den Besitzern zurückgegeben werden. Der Rest wird nach einer Aufbewahrungsdauer von einem bis zwölf Monaten verwertet. Die eine Hälfte werde verkauft, die andere entsorgt, sagen die VBZ.
«Es bleiben mehr Gegenstände liegen als vor ein paar Jahren»
In der Stadt Bern verkaufen die Verkehrsbetriebe Fundsachen nicht, sondern spenden sie Hilfsorganisationen. In Basel, Luzern und St. Gallen werden Fundsachen der Verkehrsbetriebe sowie der Polizei ebenfalls versteigert.
Die Rückgabequote liegt in Luzern bei 40 bis 45 Prozent, in Basel bei 50 Prozent. «Es bleiben deutlich mehr Gegenstände liegen als noch vor ein paar Jahren», sagt Cyrill Ott, Leiter des Basler Fundbüros. «Darunter viele Handys, auch die neusten Smartphones.» Das sei wohl ein Ausdruck der heutigen «Wegwerfgesellschaft».
Bei Mobiltelefonen gibt es ein weiteres Problem: Aus Datenschutzgründen sollten vor einem Verkauf die persönlichen Daten des Verlierers gelöscht sein. Die Löschungskosten sind aber teilweise höher als der Wiederverkaufswert, so das Zürcher Gantlokal. In Luzern werden deshalb alle nicht abgeholten Handys zerstört. Das Material wird der Wiederverwertung zugeführt.
Keine solchen Probleme kennen die SBB, die Postautos, die Flughäfen Zürich und Genf sowie die Rhätische Bahn. Ihre Fundsachen werden alle nach Zürich-Wollishofen an die Fundsachenverkauf GmbH geliefert. Die Unternehmen transportieren pro Monat rund 8000 Objekte in das Verkaufsgeschäft von Roland Widmer. Zusammen mit 17 Mitarbeitern und zwei Lehrlingen sortiert, flickt und verkauft er die Fundsachen. Allein drei Techniker kümmern sich um elektronische Geräte wie Laptops, Kameras, E-Reader und Handys, die kistenweise im Keller lagern. Eine eigene Goldschmiedin revidiert und repariert Uhren und Schmuck.
Pro Monat landet 1 Tonne Textilien in der Kleidersammlung
Das Angebot im Laden ist gross und vielfältig. Man staunt, was alles verloren und nicht abgeholt wird: Vom Mechaniker überholte Mountainbikes ab 230 Franken stehen vor dem Laden, drinnen warten Anzüge, Skateboards, Sonnenbrillen, Schallplatten, Schlafsäcke, Polo-Shirts, Pokale, Portemonnaies, Knirpse, Wanderstöcke, Turnschuhe, Bilder oder Rollkoffer. Winterkleider und Winterartikel wie Skischuhe, Snowboards oder Ski sind noch bis am 11. April um 50 Prozent reduziert. Danach wird auf das Sommersortiment umgestellt.
Doch alles kann auch Roland Widmer nicht verwerten. Pro Monat wandern 1 Tonne Textilien in die Kleidersammlung und bis zu 16 volle Müllcontainer in den Abfall. Leicht defekte Rollkoffer oder Turnschuhe, die nicht mehr neu aussehen, landen zudem über einen Händler auf einem Markt in Marrakesch in Marokko.
Gantlokale: Hier ersteigern Sie Fundsachen
Grössere Städte und viele Kantone besitzen Gantlokale oder führen Versteigerungen über Betreibungsämter oder Internetportale durch. Hier eine Auswahl:
Verkaufsgeschäfte und Onlinekanäle
Versteigerungslokale
Tipp: Informieren Sie sich vorab über die Steigerungsbedingungen.