Viele Ärzte verschreiben bei Infektionen Antibiotika nach der Devise: Länger einnehmen ist besser. In der Regel folgen sie damit den Behandlungsrichtlinien der ärztlichen Fachgesellschaften. Einige Ärzte raten, auch eine angefangene Packung Antibiotika ganz aufzubrauchen, obwohl wenn es den Patienten bereits besser geht. Das soll verhindern, dass gefährliche Bakterien im Körper überleben und die Krankheit zurückkehrt.
Für Nicolas Müller, Medizinprofessor am Unispital Zürich und Präsident der Gesellschaft für Infektiologie, ist diese Praxis überholt. Zahlreiche neuere Studien belegten überzeugend, dass Antibiotika bei vielen Infektionen bei einer kürzeren Einnahmedauer genauso gut wirken wie bei einer längeren. Beispiel: Eine im Fachjournal «Jama» veröffentlichte Studie zeigte schon vor zwei Jahren, dass eine fünftägige Antibiotikatherapie bei Lungenentzündungen gleich viel nützt wie eine zehntägige.
Patienten vermeiden unerwünschte Nebenwirkungen
Bei vielen Infektionen lässt sich die bisher übliche Behandlungsdauer verkürzen. Laut Uniprofessor Müller sind «in den meisten Fällen fünf bis sieben Tage für eine Antibiotika-Behandlung genug». Ausgenommen davon seien schwere Entzündungen – etwa des Knochenmarks oder der Herzklappe. Diese müsse man längere Zeit behandeln. Müller betont jedoch, dass Patienten nicht einfach aufhören sollten, die Medikamente zu nehmen, sondern «dies im Gespräch mit dem Arzt festlegen».
Die kürzere Behandlungsdauer reduziert das Risiko, dass sich multiresistente Bakterien im Körper der Patienten bilden, gegen die Antibiotika nicht mehr wirken. Allein in der Schweiz sterben jedes Jahr Hunderte an solchen Infektionen (saldo 19/2017).
Patienten vermeiden durch eine kürzere Einnahme zudem unerwünschte Nebenwirkungen. Antibiotika verursachen laut dem Bundesamt für Gesundheit nämlich häufig Durchfall, Hautrötungen, Magen-Darm- und Nierenprobleme.
Durch eine kürzere Einnahme liessen sich auch Kosten sparen. Allerdings sind viele Antibiotika nur in Zehner- oder Zwanzigerpackungen erhältlich. Es würden also Tabletten übrigbleiben. Der Genfer SP-Nationalrat Manuel Tornare forderte deshalb, den Einzelverkauf von Antibiotika in einem Pilotprojekt zu testen. Der Bundesrat ist an einem Testlauf interessiert.
Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie gaben französische Ärzte 14 Antibiotikatabletten einzeln an Patienten ab. Eine Vergleichsgruppe bekam die Tabletten in Grosspackungen. Unter dem Strich senkte die Einzelabgabe die Anzahl abgegebener Antibiotika um 10 Prozent.
Ein weiterer Vorteil: Nur zwei Drittel der Patienten, welche die Grosspackung erhielten, nahmen ihre Tabletten wie verordnet ein. Bei den Testpersonen, die einzelne Antibiotika erhielten, waren es 90 Prozent. Das heisst: Die Einzelabgabe animiert Patienten dazu, ihre Medikamente zuverlässiger einzunehmen.
Gut gegen Bakterien, nutzlos gegen Viren
Mit Antibiotika lassen sich bakterielle Infektionen bekämpfen. Die antibakteriellen Wirkstoffe in den Medikamenten töten krankmachende Bakterien oder verzögern ihr Wachstum. Immer wieder verschreiben Ärzte Antibiotika auch gegen Viren-Erkrankungen. Dies ist aber nutzlos. Viren verursachen bis zu 95 Prozent der Mandelentzündungen, viele Grippen, Erkältungen und Magen-Darm-Beschwerden.
Vorsicht beim Sport
Wer Antibiotika einnehmen muss, ist geschwächt und sollte sich ausruhen. Sport ist in den meisten Fällen keine gute Idee. Das musste auch Tennisstar Rafael Nadal 2014 bei den Swiss Indoors in Basel schmerzlich erfahren (Bild). Wegen einer Blinddarmentzündung nahm er «sehr viele» Antibiotika ein, wie er in einem Interview gestand. Die Quittung kam im Viertelfinal:
Der Spanier wurde vom 17-jährigen Borna Coric – damals die Weltnummer 124 – einfach vom Platz gefegt.