Der Fall sei «klar», sagt der Anwalt des Klägers vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichts Glarus. Sein Mandant, ein ehemaliger Bäckereiangestellter, sei «ungerechtfertigt fristlos entlassen worden». Daraus ergebe sich ein Anspruch auf eine Zahlung von 11 973 Franken. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus drei Monatslöhnen sowie einem Monatslohn als Strafzahlung für die unzulässige fristlose Kündigung.
Das Arbeitsverhältnis als Chauffeur und Verkäufer dauerte nur ein halbes Jahr und war laut dem Anwalt von Anfang an von Spannungen belastet. «Immer wieder ist es zu Konflikten gekommen.» So seien etwa die Backwaren, die sein Klient an die Kunden ausliefern sollte, oft nicht für den Transport bereitgestanden.
Zeitdruck und Stress bestimmten auch den 20. Juli 2018. «Die Situation setzte meinem Klienten so stark zu, dass er zum Arzt gehen musste», fährt der Anwalt fort. Der Angestellte habe seine Chefin darüber informiert. Ihm sei dann als Folge an diesem Tag fristlos gekündigt worden. Laut dem Arztzeugnis war der Chauffeur danach bis zum 8. September wegen Krankheit arbeitsunfähig.
Der Anwalt der Bäckerei schildert den Sachverhalt aus der Sicht der Geschäftsführerin. Der Kläger sei «ein schwieriger Mitarbeiter» gewesen. «Er schrie oft herum und beschimpfte andere Angestellte.» Die Geschäftsführerin habe ihn deswegen mehrmals mündlich gemahnt. «Am 20. Juli weigerte er sich, Backwaren im Wert von 1032 Franken auszuliefern.» Stattdessen habe er über die Firma und diverse Mitarbeiter gestänkert und sei mit dem leeren Geschäftsauto weggefahren. Deshalb habe die bestellte Ware den Kunden nicht mehr geliefert werden können.
Die Geschäftsführerin der Bäckerei verlangt Schadenersatz
Die Geschäftsführerin habe dem Chauffeur wegen unentschuldigtem Verlassen des Arbeitsplatzes fristlos gekündigt. «Sie tat dies zunächst telefonisch und versandte die Kündigung gleichentags auch per Post.» Für die nicht ausgelieferten Backwaren sowie für Schäden, die am Geschäftsauto entstanden seien, verlange seine Klientin ihrerseits einen Schadenersatz von 4720 Franken.
Das lässt der Anwalt des Klägers nicht gelten. Bei den Schäden am Geschäftsauto handle es sich um Spuren normaler Abnützung. Das Verhalten seines Mandanten sei stets tadellos gewesen. «Die Geschäftsführerin hatte ihn auch nie verwarnt. Dies hätte sie aber vor der Kündigung tun müssen.» Zudem habe die Geschäftsführerin gewusst, dass «er bereits krank war, als sie ihn entliess».
Für den Anwalt der Geschäftsführerin verhält sich die Sachlage genau umgekehrt. «Meine Klientin hat den Kläger entlassen, bevor sie erfuhr, dass er arbeitsunfähig war.» Auch habe sie dem Angestellten mehrfach mit Entlassung gedroht. Am 20. Juli sei das Fass dann übergelaufen.
Vor der Entlassung wäre eine Verwarnung nötig gewesen
Der Einzelrichter fragt die Parteien, ob sie an einem Vergleich interessiert seien. Beide lehnen ab. Acht Monate später stellt er ihnen das schriftliche Urteil zu. Der Richter heisst die Klage des Angestellten vollumfänglich gut und spricht ihm die eingeklagten 11 973 Franken zu. Er begründet den Entscheid damit, die Pflichtverletzungen des Chauffeurs seien nicht so gravierend gewesen, dass sie eine fristlose Entlassung ohne vorgängige Verwarnung gerechtfertigt hätten.
Die Gegenklage der Bäckerei wird abgewiesen. «Der Angestellte durfte den Arbeitsplatz verlassen, um sich in ärztliche Behandlung zu begeben.» Mit einem Arztzeugnis habe er seine Arbeitsunfähigkeit zweifelsfrei belegt. Auch habe die Geschäftsführerin nicht bewiesen, dass der Chauffeur die Schäden am Auto verursacht habe. Die Bäckerei muss die Gerichtsgebühren von 800 Franken übernehmen und dem Kläger für das Verfahren eine Entschädigung von 500 Franken zahlen.
Das gilt bei einer fristlosen Entlassung
Bei schwerwiegendenFällen wie Straftaten am Arbeitsplatz oder Arbeitsverweigerung dürfen Betriebe ihren Angestellten ohne Vorwarnung fristlos kündigen. Meistens ist bei Fehlverhalten zuerst eine Verwarnung nötig. Daraus muss sich klar ergeben, was dem Arbeitnehmer vorgeworfen wird und welche Folgen eine erneute Verfehlung haben wird. Bei einer fristlosen Entlassung müssen Arbeitgeber rasch handeln: Innert zwei bis drei Arbeitstagen nach dem Vorfall.
Ist eine fristlose Entlassung gerechtfertigt, erlischt der Lohnanspruch sofort. Ist sie ungerechtfertigt, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Schaden ersetzen, der diesem durch das rechtswidrige Verhalten des Betriebs entstanden ist. Zudem hat er Anspruch auf eine Entschädigung für die erlittene Demütigung – maximal sechs Monatslöhne.