Forscher kritisieren Medikamentenstudien
Das Epilepsie-Medikament Neurontin ist auch gegen diabetische Nervenschmerzen zugelassen. Aber die Wirkung ist zweifelhaft – die Studien dazu wurden manipuliert.
Inhalt
saldo 01/2010
18.01.2010
Letzte Aktualisierung:
19.01.2010
Andreas Grote
Das Medikament Neurontin ist in der Schweiz nicht nur gegen Epilepsie, sondern auch gegen Nervenschmerzen bei Diabetes zugelassen. Doch im letzten Frühling kam die Herstellerfirma in die Kritik. Amerikanische Gesundheitsexperten warfen Pfizer vor, die Studien zu den Nervenschmerzen manipuliert zu haben (saldo 9/09). In den USA ist Neurontin nicht zugelassen gegen Schmerzen, weil es diese zu wenig lindert.
...
Das Medikament Neurontin ist in der Schweiz nicht nur gegen Epilepsie, sondern auch gegen Nervenschmerzen bei Diabetes zugelassen. Doch im letzten Frühling kam die Herstellerfirma in die Kritik. Amerikanische Gesundheitsexperten warfen Pfizer vor, die Studien zu den Nervenschmerzen manipuliert zu haben (saldo 9/09). In den USA ist Neurontin nicht zugelassen gegen Schmerzen, weil es diese zu wenig lindert.
Kürzlich bestätigte eine unabhängige Forschergruppe im Fachblatt «New England Journal of Medicine» die Befürchtungen der Kritiker. Sie verglich Studien von Pfizer mit den dazugehörigen firmeninternen Protokollen, welche die Firma in einem amerikanischen Gerichtsverfahren offenlegen musste: In den publizierten Studien war die Wirkung von Neurontin viel besser als in den internen Studienprotokollen. In 8 von 12 Studien fanden die Forscher solche Ungereimtheiten.
Bei falscher Datenlage wird die Zulassung hinfällig
Kay Dickersin, Direktor vom Center for Clinical Trials der Bloomberg School, kommt im Artikel zum Schluss: «Diese Darstellung von Studienergebnissen verfälscht die Interpretation, wie gut das Medikament wirkt.» Auch das «Deutsche Ärzteblatt» schreibt, dass ein Verändern der Ergebnisse nicht nur ein Mittel sei, «sich die Rosinen aus den Ergebnissen herauszupicken. Es steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende eine Wirkung dokumentiert wird, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist.»
Pfizer wehrt sich gegen die Kritik. In einer Stellungnahme schreibt das Unternehmen, dass Kays Untersuchung die Studien verzerre, die Daten ungenügend verarbeite und eine schlechte Methodik verwendet habe. Erneut reagieren die Schweizer Behörden nicht auf den Fall. Im letzten Frühling war die Zulassungsbehörde Swissmedic über die Angelegenheit gar nicht orientiert.
Sie versicherte aber, dass eine Zulassung des Medikamentes «hinfällig» würde, wenn sie auf falschen Daten beruhe. Doch das scheint Swissmedic heute vergessen zu haben. Das Epilepsie-Medikament und sieben Nachahmerpräparate mit dem Wirkstoff Gabapentin sind noch immer zugelassen gegen Nervenschmerzen bei Diabetes – und die Grundversicherung bezahlt dies auch.
Die Swissmedic sieht keinen Handlungsbedarf
Für Fachleute ist das unverständlich. Der Neurologe Christian Hess vom Inselspital sagt: «Pfizer bekäme heute aufgrund der Studien kaum eine Zulassung für Neurontin gegen Nervenschmerzen.» Die Swissmedic sieht keinen Handlungsbedarf, wie sie saldo schreibt. Eine «Anschuldigung, Ergebnisse selektiv zu publizieren», in einem Gerichtsverfahren gegen Pfizer berühre die Zulassung von Neurontin nicht.