Samstag, 12. Juni 2021: Westlich des Piz Neir im Kanton Graubünden stossen ein Segelflugzeug und ein viersitziges Kleinflugzeug in einer Höhe von 3200 Metern über Meer zusammen. Die Flugzeuge stürzen ab, vier Erwachsene und ein Kind kommen ums Leben. Laut Daniel Knecht von der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) waren beide Flugzeuge nach Sichtflugregeln unterwegs.
Noch ist unklar, ob beim Unglück fehlende oder nicht eingeschaltete Transponder eine Rolle spielten. Das wird untersucht. Dank Transpondern können Flugzeuge vom Radar der Flugsicherung und von Kollisionswarnsystemen anderer Flugzeuge identifiziert werden. In der Schweiz sind praktisch alle Motorflugzeuge mit Transpondern ausgerüstet – von den Segelflugzeugen aber nur etwa ein Drittel. Für sie sind solche Geräte gesetzlich nicht vorgeschrieben.
Scharfes Ausweichmanöver verhinderte Katastrophe
saldo-Recherchen zeigen: In den letzten zehn Jahren gab es in der Schweiz mindestens 14 Beinahe-Kollisionen, in denen eines der beteiligten Luftfahrzeuge keinen Transponder mitführte oder dieser nicht eingeschaltet war. In 8 Fällen bestand auch für Passagierflugzeuge Gefahr. Drei Beispiele:
11. August 2012: Die Besatzung eines Swiss-Airbus A340 aus San Francisco entdeckt im Anflug auf den Flughafen Zürich durchs Cockpitfenster plötzlich ein Segelflugzeug. Es fliegt auf gleicher Höhe – auf Kollisionskurs. Die Piloten leiten sofort ein scharfes Ausweichmanöver ein und können so einen Zusammenprall verhindern.
Die Sicherheitsuntersuchungsstelle hielt im August 2014 in ihrem Schlussbericht fest: «Der Flugverkehrsleiter konnte das Segelflugzeug zu keinem Zeitpunkt wahrnehmen, da dieses nicht mit einem Transponder ausgerüstet war und somit vom Radar nicht erfasst werden konnte.» Aus dem gleichen Grund war es auch für das Kollisionswarnsystem des Airbus nicht erkennbar. Unmissverständlich forderte die Untersuchungsstelle vor acht Jahren: Das Bundesamt für Zivilluftfahrt solle «um die Schweizer Flughäfen herum Lufträume festlegen, in denen sich ausschliesslich Luftfahrzeuge bewegen dürfen, die mit einem funktionsfähigen und eingeschalteten Transponder ausgerüstet sind».
25. August 2016: Nordwestlich des Flughafens Zürich kreuzen sich ein Airbus A330 von Edelweiss und ein Motorsegler in geringem Abstand. Der Segler hat den Transponder ausgeschaltet, um Batteriestrom zu sparen.
15. April 2018: Die Piloten eines Airbus A321 der Swiss können im Landeanflug auf Genf einen Heissluftballon gerade noch umfliegen. Auch hier: Der Ballon ist ohne Transponder unterwegs.
Die Sicherheitsuntersuchungsstelle wies in ihren Berichten wiederholt auf das Transponderproblem hin. Im März 2017 verlangte sie eine generelle Transponderpflicht: «Das Bundesamt für Zivilluftfahrt sollte für den Betrieb von Luftfahrzeugen, die für ein Grossraumflugzeug eine Gefahr darstellen können, über schweizerischem Hoheitsgebiet ausnahmslos die Pflicht zum Mitführen eines betriebsbereiten und eingeschalteten Transponders vorschreiben.» Bis heute erinnerte sie das Luftfahrtsamt sicher zehnmal an ihre klaren Empfehlungen von 2014 und 2017. Doch das Bundesamt entschied 2020, auf ein Obligatorium zu verzichten. Es habe die Einführung «als unverhältnismässig eingestuft», sagt Sprecher Christian Schubert. Daniel Knecht, Leiter des Bereichs Aviatik bei der Sust, hält fest, es liege in der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden, über die Umsetzung der Empfehlungen zu entscheiden.
Bundesamt kümmert sich «mit Freuden» um Segelflieger
Der nationale Verband der Segelflieger bekämpft die Transponderpflicht. Er macht geltend, der Stromverbrauch eines Transponders führe dazu, dass ein Segelflugzeug weniger lang in der Luft bleiben könne. Auch könne eine zu grosse Dichte an Transpondersignalen die Empfänger am Boden oder an Bord anderer Flugzeuge überlasten. Zudem seien Kauf, Einbau und Wartung eines Transponders für ein Occasions-Segelflugzeug sehr teuer. Die Anschaffungskosten belaufen sich auf 2000 bis 5000 Franken, die Wartungskosten betragen zwischen 150 und 250 Franken pro Jahr.
Die Segelflieger finden beim Bundesamt mit ihren Einwänden immer wieder Verständnis. 2015 dankte ihr Verband an seiner GV laut Protokoll einem Inspektor des Luftfahrtamts «für seinen Einsatz gegen das Transponder-Obligatorium». Der Inspektor war selbst Segelflieger und Mitglied einer Segelfluggruppe. Im Bundesamt gehörte er der Sektion «Flugschulen und Leichtaviatik» an. Im Jahr 2018 ging er in Pension. Seine Nachfolgerin versprach dem Segelflugverband, «sich mit Freuden um die Anliegen der Segelflieger zu kümmern», wie das «Segelflug Bulletin» vom März 2019 festhält.