Kinder in Lumpen, Schwangere im Schlamm, kriegsversehrte Männer an Krücken – die Bilder vom Leid der Flüchtlinge aus Syrien und andern Ländern lassen viele Menschen nicht kalt.
Auch Schweizer spenden angesichts des Flüchtlingsdramas Millionen Franken. Bei der Glückskette etwa gingen seit letztem September fast 27 Millionen Franken Spenden für Flüchtlinge ein. Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) erhielt für Flüchtlinge im letzten Jahr mehr als zehnmal so viel Geld wie im Vorjahr: 4,8 Millionen Franken.
Auf den Websites versprechen die Hilfsorganisationen: «Nur humanitäre Hilfe kann das Leid der Betroffenen lindern» (Glückskette). Oder: «Sie brauchen Ihre Hilfe! Sie brauchen Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung» (SRK).
Hilfswerke glänzen durch Abwesenheit
Kommt das Geld aber auch dort an, wo es benötigt wird? Zum Beispiel auf der griechischen Insel Lesbos, wo die Flüchtlinge stranden, oder an der griechisch-mazedonischen Grenze in Idomeni, wo fast 14 000 Flüchtlinge festsitzen?
saldo war im Februar vor Ort. Die Recherchen zeigen: Die Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland und auf dem Balkan funktionierte nur schleppend, etablierte Hilfswerke wie das SRK und Partnerorganisationen der Glückskette glänzten durch Abwesenheit. In die Bresche sprangen dafür Freiwilligenorganisationen, die Soforthilfe leisteten.
Beispiel Serbien: «Die Hilfsgüterverteilungen erfolgen durch unseren Partner, das Serbische Rote Kreuz, in Camps in PreŠevo, Belgrad, Šid und Dimitrovgrad», lässt das SRK verlauten. Dafür sind nach seinen Angaben 350 000 Franken aus Spenden vorgesehen. Die Glückskette unterstützt nach eigenen Angaben die Caritas Schweiz und das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS) für die Hilfe in Šid mit jeweils 200 000 Franken. Mit dem Geld soll den Flüchtlingen «Zugang zu Lebensmitteln und lebensnotwendigen Gütern» gewährleistet werden.
saldo war in Šid, Belgrad und Preševo. Dort ist von dieser Hilfe nichts zu sehen. Das Durchgangscamp in Šid befand sich in einem desolaten Zustand. Weder das Rote Kreuz noch Caritas Schweiz oder das HEKS waren vor Ort. Flüchtlinge, die bereits seit Wochen in Šid festsassen, berichteten, hier habe man schon lange keine grossen Hilfsorganisationen mehr gesehen. Gemäss Glückskette sollen dort fast 40 Mitarbeiter im Einsatz gestanden haben. Caritas sagt, dass im Februar in grösserem Umfang Lebensmittel verteilt wurden.
Beispiel Idomeni: Seit Wochen harren am Grenzübergang zwischen Griechenland und Mazedonien über 14 000 Flüchtlinge aus. Das SRK hält fest: «In Idomeni hilft das Rote Kreuz im Bereich der medizinischen Notversorgung und verteilt Hilfsgüter; im Rotkreuz-Feldspital arbeitete eine Zeitlang auch eine SRK-Gesundheitsfachfrau.» Das SRK unterstützt die Nothilfe in Griechenland nach eigenen Angaben mit 640 000 Franken. Von der Glückskette flossen insgesamt 190 382 Franken an «Médecins du Monde Schweiz» für medizinische Nothilfe und 200 000 Franken an «Terre des hommes» zum Schutz von Familien und Kindern.
Nur: Das Projekt von «Médecins du Monde Schweiz» war trotz grosser Not im Februar bereits abgeschlossen – und die Gesundheitsfachfrau des SRK bereits wieder in die Schweiz zurückgekehrt. Einzig die Hilfsorganisation «Médecins sans Frontières» leistete weiter medizinische Nothilfe. Vom Griechischen Roten Kreuz fehlte jede Spur.
«Wir brauchen mehr medizinische Hilfe»
Die medizinische Versorgung in Idomeni, die das SRK angeblich unterstützt, ist praktisch inexistent: Aslam Obaid, ein syrischer Flüchtling, sagt gegenüber saldo: «Ich bin erstaunt über die Abwesenheit des Roten Kreuzes. Wir bräuchten unbedingt mehr medizinische Hilfe.» Obaid koordiniert in Idomeni Hilfsaktionen für Tausende von Bedürftigen.
Beispiel Lesbos: Hier wurde saldo Zeuge, wie Mitarbeiter des Roten Kreuzes die Kleiderabgabestelle nur zu Bürozeiten bedienten. In die Bresche sprangen freiwillige Helfer.
Ein ehemaliger Chefdelegierter des SRK, der ungenannt bleiben möchte, ist nicht erstaunt: «Während der Zeit beim SRK erlebte ich immer wieder, dass Gelder nicht dort ankamen, wo sie wirklich gebraucht wurden.» Er spricht von einer Bürokratie, die «effiziente Soforthilfe verunmögliche».
Wie stellen das SRK oder die Glückskette sicher, dass die Spenden für den vorgesehenen Zweck eingesetzt werden? Beide verweisen darauf, dass die örtlichen Organisationen verpflichtet sind, ihre Tätigkeit detailliert zu rapportieren. Zudem sollen regelmässige Besuche vor Ort dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Der SRK-Insider sagt dazu: «Diese Feldbesuche sind ein Witz, die Kontrollen schlecht.»
Gemäss Glückskette wurden von den total 27 Millionen Franken Spenden für Flüchtlinge 2,9 Millionen auf dem Balkan eingesetzt und 3,5 Millionen für neue Projekte bereitgestellt. In den Nachbarländern Syriens seien bisher 8,6 Millionen Franken eingesetzt und 6 Millionen für kommende Projekte auf die Seite gelegt. Bleiben knapp 6 Millionen Franken an Spenden, die weder eingesetzt noch für künftige Projekte bereitgestellt worden sind. Bei der Glückskette heisst es dazu, diese Summe würde «flexibel eingesetzt», je nachdem, wie sich die Situation entwickle.
Beim SRK flossen von den 4,8 Millionen Franken
1,2 Millionen in den Libanon, 500 000 Franken nach Griechenland und 315 000 nach Serbien. Weitere 660 000 Franken seien für ein Projekt in Syrien vorgesehen. 2,7 Millionen Franken hat das SRK noch nicht ausgegeben.