Die Bianchi AG beliefert Hotels, Kantinen und Gourmetläden mit Fleisch. Die Firma aus Zufikon AG muss dazu auch Fleisch importieren, weil es in der Schweiz von bestimmten Stücken zu wenig gibt. Doch der Import ist nicht einfach – und vor allem extrem teuer. Beispiel: Ein Kilogramm Rindsfilet kostet vor der Einfuhr rund 30 Franken. Wenn Bianchi das Kilo importieren möchte, zahlt die Firma dafür einen Zoll von sage und schreibe Fr. 13.68.
Bei der Welthandelsorganisation WTO hat sich die Schweiz allerdings verpflichtet, pro Jahr ein Kontingent von mindestens 22 500 Tonnen Fleisch von Rindern, Schafen und Ziegen («rotes Fleisch») zu einem niedrigeren Zoll importieren zu lassen. Ein Kilo eines Rindsfilets innerhalb dieses Kontingents kostet nur Fr. 1.59 Zoll.
Vom niedrigen Zoll profitieren laut Paolo und Giulio Bianchi vor allem die grossen Importeure wie Coop und Migros (siehe Grafik im PDF). Ihre Firma habe kaum eine Chance, an das günstigere Fleisch zu kommen. Die Bianchis sagen: «Das System ist total korrupt.»
Das Importkontingent ist unterteilt in Unterkontingente. Beispiel: Importrechte für Nierstücke vom Rind werden zu 50 Prozent basierend auf der sogenannten «Inlandleistung» vergeben. Wer auf einem öffentlichen Schweizer Viehmarkt ein Rind erwirbt oder selber schlachtet, darf dafür Fleisch importieren. Will ein Unternehmen seine Kontingentsanteile über die «Inlandleistung» erhöhen, muss es möglichst viele Tiere auf Schweizer Märkten kaufen. Die anderen 50 Prozent des Kontingents werden einmal im Monat versteigert (siehe unten).
Micarna, Bell & Co. erhalten grossen Teil des Kontingents
Die grossen Fleischverarbeiter wie Micarna (Migros) und Bell (Coop) nutzen das aus: Sie kaufen viele inländische Schlachttiere und bekommen entsprechend einen grossen Teil des Importkontingents. Beim Rindfleisch ist es dieses Jahr knapp die Hälfte. Das geht aus Zahlen des Bundesamts für Landwirtschaft hervor.
Wie viel Fleisch vergünstigt importiert wird, bestimmt das Bundesamt für Landwirtschaft in Absprache mit «interessierten Kreisen». Dazu gehört die Branchenorganisation Proviande. Mitglieder sind unter anderem der Bauernverband sowie Coop und Migros. In der Regel gibt das Bundesamt genau so viel Kontingentfleisch zum Import frei, wie Proviande wünscht. Bianchi kritisiert: «Wie Proviande zu ihren Entscheiden kommt, bleibt geheim.»
Ein öffentliches Protokoll der Sitzungen gibt es nicht. Proviande sagt, die Fleischbranche könne «ihre Interessen optimal einbringen». Bianchi sieht das anders: «Als unabhängiger Importeur werden wir durch Proviande nicht vertreten.»
Interessant: Im Proviande-Verwaltungsrat sitzen je sechs Vertreter von Bauernorganisationen und Fleischverarbeitern – unter anderem von Micarna und Bell. Mehrere Verwaltungsräte der Proviande haben auch Mandate innerhalb der Branche – etwa bei der Fleischimportfirma GVFI International AG mit Sitz in Basel (siehe Kasten rechts). Ein Blick ins Handelsregister zeigt: An der gleichen Adresse sitzen noch drei andere Fleischhändler und eine Zollagentur.
Steuerung des Imports hält die Preise hoch
All diese Firmen haben ein Interesse an einem hohen Fleischpreis in der Schweiz. Das erreichen sie über die Steuerung der Importmenge. Aufgrund der Zuteilung nach Inlandleistung steht nur die Hälfte der gesamten Kontingentsmenge für die Versteigerung zur Verfügung. Die andere Hälfte geht an die grossen Fleischverarbeiter. Bei der Versteigerung des Restkontingents streiten sich dann viele Händler – ein weiterer Preistreiber. Laut Agrarbericht des Bundesamts stieg der durchschnittliche Auktionspreis für bestimmte Fleischsorten im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent.
Die Folge: Konsumenten bezahlen für Rindfleisch immer mehr. Vor zwölf Jahren kostete ein Kilogramm Entrecôte im Laden rund 50 Franken, heute sind es 70 Franken. Die Schweizer Bauern erhielten im gleichen Zeitraum stets rund 9 Franken pro Kilo Rind. Profiteure des Kontingentsystems sind also nicht die Fleischproduzenten, sondern die Händler – allen voran Coop und Migros.
Coop und Migros rechtfertigen sich: Agrarschutz und Zollkontingente seien politisch gewollt.
Lukrativer Handel mit Kontingenten
Fleischhändler, die mehr Kontingentsanteile besitzen, als sie Fleisch importieren möchten, können die Rechte über eine Internetplattform des Bundesamts für Landwirtschaft verkaufen. Zum Beispiel an die Basler Importfirma GVFI International AG. Diese verfügt über Lager, in denen sie das Importfleisch aufbewahrt, bis es auf den Markt kommt.
Wann und nach welchen Kriterien das importierte Fleisch auf den Schweizer Markt gelangt, wollte GVFI auf saldo-Anfrage nicht sagen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Händler das Fleisch dann in den Verkauf bringen, wenn die Nachfrage und damit der Preis hoch sind.
Im Verwaltungsrat der GVFI sitzen unter anderem Vertreter von Bell und Micarna. Diese gehören Coop und Migros.
So funktioniert die Versteigerung
Paolo Bianchi sitzt am Schreibtisch im Grossraumbüro in Zufikon AG. Auf Zetteln hat er Preise und Mengen notiert. «So viel Rindfleisch möchte ich in den nächsten Wochen importieren», erklärt er. Dafür muss er einen Anteil am Zollkontingent ersteigern.
Punkt 17 Uhr endet die Frist für die Eingabe der Gebote. Bereits vormittags loggt sich Bianchi mit einem Passwort auf die Internetplattform des Bundesamts für Landwirtschaft ein und überträgt die Zahlen auf seinen Zetteln in eine Maske. Er darf maximal fünf Gebote abgeben. Was andere bieten, sieht er nicht. Nach der Eingabe muss er abwarten. Nur die Bieter mit den höchsten Geboten erhalten die gewünschte Menge. Das Bundesamt teilt die restliche Kontingentsmenge zu.
Zwei Tage später schaltet das Amt die Resultate der Versteigerung mit den Importmengen für die Ersteigerer auf seiner Website auf. Bruder Giulio lacht: «Paolo wird sich so oder so ärgern. Entweder hat er zu hohe Preise geboten oder er bekommt nichts.»