NZZ-Leser mussten glauben, das selbstfahrende Auto der Swisscom stehe kurz vor der Produktionsreife. Das Blatt schrieb nach einer Probefahrt auf Zürcher Strassen: «Am Wendepunkt angekommen, bleibt der Eindruck eines schon weit gereiften Gesamtsystems.» Und zitiert einen Experten: «Es lernt mit jeder Fahrt hinzu und perfektioniert jedes Detail.»
Der Hintergrund: Gemeinsam mit Hochschulen entwickelte der Konzern mit Kernkompetenz Telekom ein «selbstfahrendes Auto». Die Swisscom lud die Medienschaffenden zu Probefahrten ein, um das technische Prunkstück zu propagieren. Und sie kamen reihenweise.
Um was geht es dem Bundesbetrieb mit dieser Aktion? Ein Swisscom-Sprecher diktierte es dem «Tages-Anzeiger»: «Heute starten wir einen Aufruf an die Öffentlichkeit, die Digitalisierung des Automobils in Angriff zu nehmen.» Nur aus «gesetzlichen Gründen» brauche es noch einen Lenker. Mit andern Worten: Das «selbstfahrende Auto» ist zwar da, aber der Gesetzgeber hat das noch nicht begriffen.
Auch die «Bilanz» ist überzeugt: «Das fahrerlose Auto kommt – peu à peu.» Zwar würden «noch Jahre vergehen», aber es «existieren bereits viele Technologien, die dereinst in den führerlosen Fahrzeugen zum Einsatz kommen werden». Und die «NZZ am Sonntag» verspricht: «In einigen Jahren dürften selbstfahrende Autos die Innenstädte prägen und die lästigen Staus zum Verschwinden bringen.»
«Es kam nur zu elf Unfällen»
Wie immer bei solchen Geschichten sind die USA angeblich weiter als Europa: In Nevada hat Daimler einen Lastwagen entwickelt, der selbständig über die Highways fährt, berichteten viele Zeitungen – zum Beispiel der «Landbote» unter dem Titel «Brummi darf selber fahren». Und der «Schweizer Bauer» zitiert gleich den Gouverneur des Bundesstaats dazu: «Heute ist ein historischer Tag.» Laut dem US-TV-Sender CBS ist der selbstfahrende Lastwagen jedoch «weit weg» von der Markteinführung.
Auch Google experimentierte in Kalifornien, wie unter anderem der «Blick am Abend» berichtete. Dabei sei es «nur zu elf Unfällen» gekommen. Natürlich waren immer die andern schuld, etwa bei «Streifungen an der Seite».
Wer sich ein realistisches Bild vom selbstfahrenden Auto machen wollte, war beim Schweizer Fernsehen besser bedient. Filme in der «Tagesschau» und in «10 vor 10» zeigten, wie zur Sicherheit eine Person hinter dem Steuer des selbstfahrenden Autos sitzt – die Hände permanent ein paar Zentimeter weg vom Lenkrad, um nötigenfalls eingreifen zu können. Der Zuschauer spürte den Muskelkater des Testfahrers förmlich.
Beide Infosendungen liessen im Gegensatz zu den meisten Zeitungen auch Kritiker zu Wort kommen, die vor allem auf rechtliche Fragen hinwiesen. Zum Beispiel: Wer haftet, wenn die Technik versagt?
Die «NZZ am Sonntag» verwies zumindest auf ethische Fragen, selbst wenn das angeführte Beispiel etwas gesucht erscheint: «Rechts auf dem Trottoir geht eine 80-jährige Frau, links fährt eine 8-Jährige auf dem Velo.» Der Computer könne bei einem Ausweichmanöver die Frage nicht beantworten, welche von beiden nun überfahren werden soll.
Dieses moralische Dilemma schien dem «Blick am Abend» makaber genug, um auch seine Leserschaft damit erschaudern zu lassen.
Flächendeckende Werbung – gratis
Fazit: Das selbstfahrende Auto ist Zukunftsmusik. Aber die Namen Swisscom, Google & Co. waren flächendeckend in allen Medien. Dafür brauchts kein Werbebudget mehr. Man muss nur Journalisten zu Probefahrten einladen.