Die Stimmung im Betrieb sei miserabel gewesen, berichtet der Koch der Einzelrichterin am Regionalgericht Bern-Mittelland. Der Chef sei einmal mehr ausgerastet. Da habe er gekündigt.
Der Koch erwähnt Drogenprobleme, die er früher hatte. Das Desaster im Betrieb habe einen Rückfall ausgelöst. Nach der Kündigung war er zuerst arbeitslos. Später sei er dank einer Therapie wieder von den Drogen losgekommen. Dann habe er erfahren, dass er seinen Arbeitgeber sowie die Visana als Krankentaggeldversicherung des Restaurants belangen könne.
Die Anwältin des Kochs beziffert die Forderung auf 27 000 Franken. Das entspricht 80 Prozent des monatlichen Bruttolohns von 5800 Franken für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit während der Therapie. «Der Versicherungsschutz erlosch nie», sagt sie. Das Gastrounternehmen habe es versäumt, den Koch beim Austritt über dessen Rechte zu orientieren. Der Mann hätte den Versicherungsschutz ohne Gesundheitsprüfung weiterführen können, wenn er von der Kollektivversicherung in eine Einzelkrankentaggeldversicherung gewechselt hätte (siehe Kasten). Diese Information müsse schriftlich erfolgen. Das sei nicht geschehen.
Das beklagte Gastrounternehmen beantragt die Abweisung der Klage. Die Firma mit Hunderten von Angestellten wisse, wie man ein Austrittsgespräch korrekt führe, sagt der Anwalt des Restaurants. Ausserdem habe der Kläger ein vom Gastrobetrieb aufgesetztes Standardblatt unterschrieben und bestätigt, die nötigen Dokumente «erhalten, gelesen sowie erklärt bekommen» zu haben.
Die Richterin fragt den Koch, wie das Austrittsgespräch verlaufen sei. Er sagt, er habe Badge und Schlüssel abgegeben und das Standardblatt unterschrieben: «Aber ich erhielt keinerlei Unterlagen oder Dokumente.» Die Richterin hakt nach, warum er den Erhalt trotzdem per Unterschrift bestätigt habe. «Mich zerriss es innerlich fast», sagt der Koch. «Ich musste weg, so schnell wie möglich.»
Ex-Personalchef kann sich nicht an Austrittsgespräch erinnern
Die Anwältin des Kochs zerlegt die Argumente der Beklagten. Von korrekter Abwicklung des Austritts könne keine Rede sein. Das Restaurant wisse nicht einmal, wer das Austrittsgespräch geführt habe. Zuerst habe man die lokale Vorgesetzte genannt, später den damaligen Personalchef in Zürich. Zudem seien auf dem Formular zwar drei Kästchen angekreuzt worden – eines davon mit der Bezeichnung «KTG Krankentaggeldversicherung». Worum es dabei genau gehe, bleibe unklar. Die Empfangsbestätigung auf dem Merkblatt zum Übertrittsrecht in der Krankenversicherung sei weder ausgefüllt noch unterschrieben worden.
Die Richterin versucht herauszufinden, ob das Merkblatt zum Übertritt tatsächlich abgegeben wurde. Sie lädt den Ex-Personalchef vor. Er sagt, er könne sich nicht an dieses Austrittsgespräch erinnern. Die Richterin zeigt ihm die Unterschrift des Betriebsvertreters auf der Checkliste. «Nein, das ist nicht meine Unterschrift», entgegnet er. Es könne auch die Unterschrift einer Sachbearbeiterin sein, die das Formular später verarbeitet habe.
Am Ende heisst das Gericht die Klage gut und spricht dem Koch die geforderten 27 000 Franken zu. Es sei den Beklagten nicht gelungen nachzuweisen, dass der Kläger das Merkblatt zum Übertrittsrecht in die Einzelversicherung erhalten habe. Das unterschriebene Standardblatt genüge nicht als Beweis, die Angaben des Personalchefs seien nicht aussagekräftig.
Laut Urteil müssen die Visana und die Gastrofirma auch die Anwaltskosten des Kochs von 9400 Franken übernehmen. Beide ziehen den Fall ans Obergericht weiter.
Recht auf den Wechsel in eine Einzelversicherung
Krankentaggeldversicherungen sind freiwillig. Einige Gesamtarbeitsverträge enthalten aber die Verpflichtung der Arbeitgeber, solche Versicherungen abzuschliessen. Bei Stellenverlust haben Angestellte dann das Recht, von der Kollektivkrankentaggeldversicherung des Arbeitgebers in eine Einzelversicherung derselben Versicherung zu wechseln. Das gilt auch, wenn jemand krank ist.
Die Versicherung darf keine neuen Vorbehalte geltend machen. Finden Arbeitnehmer keinen neuen Job, muss die Versicherung den Übertritt während 90 Tagen nach Ende des Arbeits-verhältnisses akzeptieren. Angestellte müssen über ihr Recht schriftlich informiert werden. Der Übertritt in die Einzelversicherung ist aber nicht in jedem Fall zu empfehlen, denn die Prämien sind häufig sehr hoch.