Markus M. fühlte sich nach dem Aufstehen oft schwindlig. Tagsüber war er schlapp. Sein Arzt verordnete ihm eine Eiseninfusion. Danach ging es dem 33-jährigen Aargauer nach eigener Aussage «etwas besser».
Im letzten Jahr verschrieben niedergelassene Ärzte laut dem Krankenkassenverband Santésuisse 70 Prozent mehr Eiseninfusionen als im Jahr 2010. Konkret: Die Krankenkassen zahlten für knapp 195 000 Infusionen im Jahr 2016 insgesamt rund 51 Millionen Franken. Dazu kommt eine unbekannte Anzahl Infusionen, welche die Behandelten aus der eigenen Tasche bezahlten.
Eiseninfusionen sind besonders in der Schweiz verbreitet. Zum Vergleich: In Österreich zahlten die Krankenkassen nur 24 000 Eiseninfusionen. Und in Deutschland waren es im Jahr 2015 nur 436 000. Prozentual ist die Behandlungsrate in der Schweiz also massiv höher als in den Nachbarländern (siehe Grafik im PDF).
Eisen hilft, den roten Blutfarbstoff Hämoglobin zu bilden. Der sogenannte Ferritinwert im Blut gibt an, ob Leber, Milz und Knochenmark genug Eisenvorräte haben. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO deutet erst ein Ferritinwert von weniger als 15 Nanogramm pro Milliliter Blut darauf hin, dass jemand zu wenig Eisen im Blut hat.
Der Ferritinwert von Markus M. lag bei 46 – das Dreifache des WHO-Werts. Viele Schweizer Ärzte verordnen auch bei solchen Werten Infusionen. Etwa Urs Schaub, Internist in Binningen BL. Eisenmangel sei ein oft unerkanntes Problem, sagt Schaub. Den Mangel erkenne er an Symptomen wie Erschöpfung, Schlafstörungen oder depressiven Verstimmungen. Schaub arbeitet mit 73 anderen Ärzten in der «Swiss Iron Health Organisation».
Vifor Pharma propagiert Infusionen im Internet
Die Website «Check dein Eisen» empfiehlt Personen mit «sehr niedrigen oder niedrigen» Ferritinwerten von 15 bis 50 eine Eisentherapie. Betreiber der Site ist die Vifor Pharma in Glattbrugg ZH. Ihre Produkte Ferinject und Venofer sind die einzigen Präparate, die in der Schweiz zugelassen sind (siehe Unten).
Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber des Fachblatts «Pharma-Kritik», hält die Werte aus medizinischer Sicht für deutlich zu hoch: «Dabei geht es nur ums Geschäft.» Er kenne «keine rationalen Gründe, weshalb jemand mit einem Ferritinwert über 15 Nanogramm von intravenös verabreichtem Eisen profitieren würde». Die Beliebtheit der Infusionen basiere auf dem Placeboeffekt.
Vifor verweist auf eine Studie, wonach es Patienten mit Herzinsuffizienz hilft, Eisen intravenös zu bekommen. Allerdings haben nur die wenigsten, die eine Infusion erhalten, ein Herzleiden. Vifor räumt ein, dass die Ferritinwerte umstritten seien.
Unbestritten aber ist: Eiseninfusionen können lebensbedrohlich sein. Das Heilmittelinstitut Swissmedic warnte 2013 vor «Überempfindlichkeitsreaktionen, die in einigen Fällen tödlich verliefen». Seither muss eine Fachperson die 30-minütige Infusion überwachen. Swissmedic registrierte von 2014 bis 2016 weitere 466 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen. 286 davon waren schwer.
Eine Infusion kostet fast 600 Franken
Die Infusionen sind für die Schweizer Ärzte ein gutes Geschäft: Markus M. zahlte seinem Hausarzt für die Infusionsbehandlung 575 Franken plus Kosten für die Laboranalyse. Den Arzt kostete das Medikament 190 Franken.
Das Bundesamt für Gesundheit lässt nun prüfen, ob die Krankenkassen die Eiseninjektionen weiterhin bezahlen sollen. Nächstes Jahr fällt der Entscheid.
Vifor propagiert den Eisenmangel
Hinter dem helvetischen Eisenboom steckt die Vifor Pharma, eine Tochterfirma des Gesundheitskonzerns Galenica. Vifor bezahlte zwei Studien zum Thema. Eine davon liess sie von einem Ghostwriter überarbeiten (saldo 2/2013).
Allein 2015 steckte die Firma über 1,5 Millionen Franken in «medizinische Fortbildung und Forschung»: Sie zahlte 182 Schweizer Ärzten Reisen und Extrahonorare. Dazu kommt das Sponsoring der «Iron Academy» – ein jährlicher Medizinkongress in Zürich und Lausanne. Im Internet und auf Facebook betreibt Vifor Infoseiten zum Eisenmangel bei Frauen unter 40 und lässt die Ex-Miss-Schweiz Melanie Winiger in Youtube-Clips Schlappheit und Unlust mimen.
Allein die Infusion Ferinject spülte laut Geschäftsbericht 2016 weltweit über 500 Millionen Franken in die Kassen – 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Zahlen für die Schweiz gibt Vifor nicht bekannt.