Recht haben und Recht bekommen seien zwei völlig verschiedene Paar Schuhe, sagt die Frau mit bebender Stimme. Ihr Anwalt nickt verständnisvoll. Auch er ist unzufrieden mit dem vor Gericht geschlossenen Vergleich.
Der Streit hatte vor drei Jahren angefangen. Die Nachbarn der Klägerin bauten ein neues Haus. Während dieser Bauarbeiten wurde die Wiese auf dem Grundstück der Klägerin völlig verunstaltet – so ihre Schilderung vor Gericht. Zudem hätten die Bauarbeiter an der Grundstücksgrenze eine grosse und gefährliche Grube hinterlassen. «Das war eine ungeheuerlich rücksichtslose Bauherrschaft», empört sie sich in Richtung der Einzelrichterin. Der Schaden belaufe sich auf 23 000 Franken. So viel würde es laut Offerte einer Gartenbaufirma kosten, alle Mängel zu beheben. Dafür müssten die Nachbarn aufkommen.
Nachbar bestreitet, dass eine gefährliche Grube entstand
Ihr Anwalt präzisiert: Noch heute, nach drei Jahren, lägen lange Pfähle und ein Netz auf dem Grundstück seiner Mandantin herum. Die Pfähle und das Netz habe es während der Bauphase gebraucht, damit der Hang zwischen den Grundstücken nicht ins Rutschen kam. «Der Nachbar hat direkt in den Hang hineingraben lassen und enorm viel Erde abgetragen. Dadurch entstand eine grosse Fallgrube, die sehr gefährlich ist.»
Jetzt ergreift der Anwalt der Bauherren das Wort: «Ich bin persönlich vorbeigegangen und habe mir den Grenzbereich angesehen. Da gibt es keine Fallgrube.» Für die Forderung gebe es keinerlei Beweise. Sein Mandant habe alle Auflagen aus der Baubewilligung erfüllt.
Die Klägerin besteht darauf, dass ihre Wiese an der Grenze ihres Grundstücks total verwüstet sei. Früher habe sie diese bewirtschaftet und sogar Schafe darauf weiden lassen.
Der Anwalt des Nachbarn lacht: «Es ist nicht Aufgabe meines Klienten, die Landwirtschaft zu fördern. Das ist nicht Gegenstand der Verhandlung. Solche Aussagen haben hier nichts zu suchen!» Sein Klient sitzt neben ihm und grinst. Der Anwalt der Klägerin verlangt dagegen klipp und klar: «Meine Klientin will, dass ihr Terrain wiederhergestellt wird, und zwar so, wie es ursprünglich war.»
Nun kommt ein Zaun auf die Grenze
Die Richterin schlägt den Parteien vor, sich zu einem Vergleich aufzuraffen. Nach einem 80-minütigen Gespräch hinter verschlossenen Türen ist klar: Geld erhält die Klägerin nicht. Der Beklagte hat alle Bauauflagen erfüllt. Die Klägerin konnte nicht beweisen, dass ihr Grundstück ungerechtfertigt verwüstet wurde.
Der Beklagte verpflichtet sich einzig dazu, das Netz und die Pfähle entfernen zu lassen. Zudem einigen sich die Parteien darauf, einen Zaun auf der Grundstücksgrenze aufzustellen und je zur Hälfte zu bezahlen. Die Gerichtskosten von 1790 Franken teilen sie sich ebenso.
Graben und Bauen: Nicht alles ist erlaubt
Ein Eigentümer darf nach freiem Ermessen über sein Grundstück verfügen – aber nur innerhalb seiner Grenzen. «Ungerechtfertigte Einwirkungen» durch den Nachbarn müssen sich Grundeigentümer nicht gefallen lassen. Das steht in Artikel 641 ZGB. Beim Bauen dürfen Grabungen also nicht dazu führen, dass das Erdreich des Nachbargrundstücks in Bewegung gerät.
Umgekehrt heisst das: Bautätigkeiten, die sich nicht übermässig auf das Nachbargrundstück auswirken, sind zu dulden. Wer unsicher ist, sollte die Bautätigkeiten mit Fotos dokumentieren.