Der Geschäftsführer des Telekomunternehmens Primacall ist mit dem Anwalt einer Zürcher Wirtschaftskanzlei nach Trogen AR angereist. Der 48-jährige Manager sitzt im dunkelblauen Nadelstreifenanzug schweigend auf dem Stuhl des Beklagten. Er vermeidet jeden Blickkontakt mit der Gegenseite: dem 64-jährigen Anzeigeerstatter aus dem Ausserrhodischen.
Dieser erscheint in Begleitung seiner Frau. Sie war im Februar 2013 von einem Primacall-Mitarbeiter angerufen worden. Anschliessend flatterte eine Bestätigung über einen Preselect-Vertrag ins Haus. Damit wären abgehende Anrufe künftig über Primacall geleitet worden.
Der Ehemann retournierte den Vertrag postwendend per Einschreiben. Seine Frau sei durch verwirrende Informationen getäuscht worden, der Vertrag sei deshalb ungültig. Trotzdem erhielt er bald Rechnungen von Primacall. Da platzte ihm der Kragen und er ging zur Polizei, um die Firma «anzuzeigen», wie er sagt. Die Primacall habe unlauteren Wettbewerb betrieben, weil sie seine Telefonnummer trotz des Sterneintrags angerufen habe. Ein Stern im Telefonbuch bedeutet: Werbeanrufe nicht erwünscht.
Der Polizist füllte ein Formular aus, die Staatsanwaltschaft Ausserrhoden eröffnete ein Strafverfahren und ermittelte. Gut ein Jahr später sprach der Staatsanwalt den Geschäftsführer und einzigen Verwaltungsrat der Primacall AG der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb schuldig. Begründung: Das Unternehmen habe die mit Sterneintrag geschützten Daten nach Berlin übermittelt, von wo aus der Werbeanruf ins Ausserrhodische erfolgte. Per Strafbefehl brummte er ihm eine bedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 140 Franken sowie 800 Franken Busse auf. Dagegen erhob der Manager Einsprache und verlangte eine gerichtliche Beurteilung.
Schweizer Primacall ist eine Ein-Mann-AG
Die Einzelrichterin will vom deutschen Staatsbürger als Erstes wissen, ob er überhaupt an der im Handelsregister genannten Adresse im Kanton Zürich wohne. «Dazu möchte ich mich nicht äussern», entgegnet er. Wie sich zeigt, ist er der einzige Angestellte der schweizerischen Primacall AG. Wie oft er in der Schweiz ist, lässt er offen. Kundenpost werde von einem «Postdienstleister» verarbeitet.
Die Richterin fragt, wie die Primacall zu den Telefonnummern komme. Der Beschuldigte sagt, sie seien bei einem Zürcher Adresshändler gekauft worden. Er selbst habe damit nichts zu tun gehabt. Er entscheide nicht über die Dateneinkäufe und sei «in keiner Form» an derWeiterleitung der Daten beteiligt gewesen.
Nach seiner Darstellung sandte der Adresshändler die Datensätze direkt ans Mutterhaus in Berlin, die Primaholding. Es habe sich um Adressen gehandelt, bei denen der Inhaber der Telefonnummer sich beispielsweise durch das Kleingedruckte bei einer Wettbewerbsteilnahme mit Werbeanrufen einverstanden erklärt habe. Die Werbeanrufe erfolgten durch Angestellte einer anderen Tochterfirma der Primaholding in Berlin.
Der Verteidiger des Beschuldigten bemängelt, in den Akten fehle ein Strafantrag des 64-Jährigen bezüglich Datenweiterleitung: «Wenn aber der Strafantrag nicht vorliegt, ist das Verfahren hier beendet.» Die dem Geschäftsführer vorgeworfenen Handlungen seien nur dann wegen unlauteren Wettbewerbs strafbar, wenn dafür ein Strafantrag vorliege.
Richterin fragt beim Kläger nach
Das Problem: Es ist unklar, worauf sich der Strafantrag auf dem Polizeiposten bezog. Deshalb fragt die Richterin den 64-Jährigen, wofür der Geschäftsführer seiner Meinung nach bestraft werden solle. «Weil er den Sterneintrag missachtete», entgegnet der Mann. Wer wem welche Daten geschickt habe, sei ihm egal.
Die Richterin macht nun kurzen Prozess. Sie stellt das Strafverfahren ein. Es fehle an einem Strafantrag, der die Datenweitergabe abdecke, und an der örtlichen Zuständigkeit. Der Zürcher Adresshändler habe die Daten nach Berlin gesandt. Damit sei der Kanton Appenzell Ausserrhoden nicht zuständig. Das Verfahren müsste in Zürich oder allenfalls in Deutschland geführt werden.
Die Verfahrenskosten übernimmt die Staatskasse. Der Beschuldigte erhält vom Staat eine Entschädigung für seine Anwaltskosten. Allerdings streicht das Gericht die Kostennote des Zürcher Wirtschaftsanwalts zusammen. Statt 14 000 erhält er nur 3400 Franken.