Céline war 16 Jahre alt, als sie 2008 die Verhütungspille Yasmin einnahm. Sie erlitt eine Lungenembolie, ist seither gelähmt und schwer invalid.
Ihre Mutter forderte daraufhin vom Pillenhersteller Bayer für Céline 5,33 Millionen Franken Schadenersatz und 400 000 Franken Genugtuung.
Das Hauptargument ihres Anwalts Felix Rüegg: In der Packungsbeilage von Yasmin sei nicht genügend auf das erhöhte Risiko von Thrombosen und Embolien hingewiesen worden. Dieses sei bei Yasmin im Vergleich zu Verhütungspillen der zweiten Generation mehr als doppelt so hoch.
Wörtlich hiess es im Beipackzettel von Yasmin: «Bei Frauen, die hormonale Empfängnisverhütungsmittel – einschliesslich Yasmin – anwenden, besteht ein leicht erhöhtes Risiko für Gerinnselbildung in Venen und Arterien, welches zu teilweise schweren Gesundheitsschäden führen kann. Das Risiko für Gerinnselbildung ist am höchsten während dem ersten Anwendungsjahr.»
Deutlicher benennt der Text in der Fachinformation für Ärzte die Risiken von Yasmin: Dort wurde erwähnt, dass bei einem Teil der zahlreichen Vergleichsstudien von neueren Pillen der dritten Generation mit älteren Pillen der zweiten Generation ein rund zweifach erhöhtes Risiko für ein Blutgerinnsel beobachtet wurde. «Die zurzeit verfügbaren klinischen Daten zu Yasmin erlauben keine klare Zuteilung hinsichtlich des Risikos zur zweiten oder dritten Generation», heisst es in der Fachinformation. Sprich: Der Arzt wusste im Gegensatz zur Patientin von einem möglicherweise doppelt so hohen Thromboserisiko bei Yasmin.
Bundesgericht: «Dem Patienten fehlt das Fachwissen»
Ein Produkt ist gemäss Gesetz (Produktehaftpflicht) fehlerhaft, wenn es nicht mit einer Information versehen ist, die den Konsumenten ausreichend über bestehende Risiken ins Bild setzt.
Das Bundesgericht verneinte jedoch in seinem Urteil vom 5. Januar eine mangelhafte Information. Es sei nicht zu beanstanden, wenn nur in der Fachinformation für Ärzte auf das allenfalls doppelt so hohe Risiko hingewiesen werde. Es komme nämlich nicht alleine auf die Sicherheitserwartungen des Patienten an, «da diesem in der Regel das nötige Fachwissen fehlt, um die mit rezeptpflichtigen Medikamenten verbundenen Gefahren richtig einschätzen zu können». Es sei auch auf das Wissen des Arztes abzustellen, der das Medikament verschreibe. Dieser habe die «Chancen und Risiken der verschiedenen auf dem Markt erhältlichen Produkte im Hinblick auf die konkrete Anwendung abzuwägen und mit seinem Patienten zu diskutieren». Das Bundesgericht schiebt die Verantwortung für eine ausreichende Information der Patientinnen somit vom Hersteller auf die Ärzte ab.
Für Felix Rüegg ist der Entscheid unverständlich: «Es ist nicht nachvollziehbar, warum eine Frau nicht selber wissen darf, wie gefährlich eine Pille im Vergleich zu einer anderen ist.»
Kritik kommt auch vom Luzerner Professor und Haftpflichtrechtler Walter Fellmann: «Es versteht jede Frau, was ein ‹doppelt so hohes Risiko› gegenüber Pillen der zweiten Generation bedeutet. Nämlich, dass relevante Risiken bestehen», sagt er. Dazu brauche man kein medizinisches Fachwissen. Fellmann: «Die Information hätte in die Packungsbeilage gehört. Alles andere ist eine Bevormundung der Frauen.» Man nehme ihnen so die Möglichkeit, beim Arzt nachzufragen, und lasse es darauf ankommen, ob dieser darauf eingeht.
Das Heilmittelinstitut Swissmedic ist verantwortlich für die Zulassung von Medikamenten sowie den Inhalt der Fach- und Patienteninformation. Es will den Gerichtsentscheid nicht kommentieren.
Hersteller Bayer hat in den USA den Geschädigten der Pillen Yaz, Yasmin und Yasminelle insgesamt 1,8 Milliarden Dollar bezahlt. Laut Bayer wurden die Vergleiche ohne Anerkennung einer Rechtspflicht geschlossen.