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Der Angeklagte erscheint allein vor Gericht. Er trägt einen schwarzen Anzug, schwarze Lackschuhe und schleppt eine schwere Aktentasche mit sich. Sie enthält mehrere dicke Gesetzesbücher. Der junge Deutsche will sich vor der Einzelrichterin selbst verteidigen. Die Verhandlung findet im Schwyzer Rathaus statt. An den Wänden hängen Porträts der ehemaligen Landammänner. Streng blicken sie auf die Besucher herab.
Die Staatsanwaltschaft Innerschwyz beschuldigt den Angeklagten, im September 2012 unerlaubt ein Reh geschossen zu haben. Möglicherweise habe er das Tier für einen Hirsch gehalten. Dessen Abschuss wäre erlaubt gewesen. Doch anstatt den «Irrtumsabschuss» den Behörden zu melden, habe der Beschuldigte das Reh über einen Fluss in den Kanton Zug geschleift. Laut Staatsanwaltschaft tat er das, um seinen Fehler zu verschleiern. Die Sache kam nur dank aufmerksamen Zeugen ans Licht: Mehrere Personen hörten in der Nähe des Hochsitzes des Angeklagten einen Schuss. Auf dem Hochsitz sass ein vermummter Mann.
Durch den Schuss alarmiert, kam ein Wildhüter herbei. Mit Hilfe seines Hundes fand er eine Schleifspur und schliesslich das tote Reh. In der Nähe des Tatortes sah ein weiterer Zeuge das Auto des jungen Deutschen. Eine Untersuchung der Einschusslöcher ergab, dass das Reh vom Hochsitz des Beschuldigten aus geschossen worden war.
Der Angeklagte wirkt nervös, aber trotzig. Auf die Frage der Einzelrichterin, ob er Fragen habe, beginnt er mit einer Tirade von diffusen Beschuldigungen: Es habe massive Verfahrensfehler gegeben. Es seien Gesetze und Menschenrechte verletzt worden.
Jäger verlangt DNS-Proben und ballistische Untersuchungen
Zur Sache selbst verweigert er die Aussage. Als die Richterin ihn fragt, ob er Beweisergänzungsanträge stellen wolle, liest er von einem Blatt Papier ab: Es seien ihm Fotos von den Einschüssen vorzulegen. Es sei ein Gutachten über das Hör- und Sehvermögen sowie den Alkoholkonsum des einen Zeugen und ein weiteres über die psychische Verfassung des anderen Zeugen zu erstellen. Es sei eine DNS-Probe am Tier und am Tatort zu nehmen. Das Projektil und die Hülse seien forensisch zu untersuchen.
Offensichtlich will der Angeklagte mit seinen Anträgen die gesammelten Beweise in Frage stellen und die Zeugen unglaubwürdig erscheinen lassen. Die Richterin bleibt unbeeindruckt. Sie entscheidet, weitere Beweise seien nicht erforderlich. Ob er stattdessen etwas zu seiner Verteidigung sagen möchte? «Selbstverständlich!», ruft der Mann und wühlt in seinen Akten. «Ich bestreite alle Vorwürfe. Niemand hat mich am Tatort gesehen.»
Sein Ruf als Jäger sei ruiniert, er verlange eine Genugtuung von 20 000 Franken und eine Spesenentschädigung von 7450 Franken. «Die Anklage ist rechtswidrig. Ich werde diesen Vorfall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte rügen und die deutsche Botschaft in Bern informieren», bringt er vor.
Die Zeugen seien befangen. «Das hier ist eine Verschwörung, angezettelt von SVP-Wählern aus dem Kanton Schwyz.» Diese seien erbost, dass er als Deutscher ein Schwyzer Jagdpatent erhalten habe.
Die Richterin hört konzentriert zu. Nichts an ihrer Mimik verrät, was sie denkt. Dann schliesst sie die Verhandlung und teilt dem Angeklagten mit, dass er für die mündliche Urteilseröffnung nochmals vorgeladen werde.
Zeugenaussagen und Obduktion des Rehs genügen für ein Urteil
Die Urteilseröffnung findet zwei Wochen später statt. Die Richterin spricht den Angeklagten schuldig: Er habe fahrlässig ein Reh getötet und den Irrtum den Behörden nicht gemeldet.
Der Jäger erhält eine Busse von 1600 Franken und muss die Verfahrenskosten von rund 5860 Franken übernehmen. Zur Begründung verweist die Richterin auf die Obduktion des Rehs und die Aussagen der Zeugen. «Die Zeugenaussagen sind glaubwürdig.» Als Inhaber eines Schwyzer Jagdpatentes habe er gewusst, dass im September nur Hirsche und Gämsen geschossen werden dürfen, nicht aber Rehe. Die Richterin ist überzeugt: «Bei gebotener Aufmerksamkeit hätte der Jäger erkennen können, dass das Reh kein Hirsch war.»
Beweisanträge: Das Gericht entscheidet
In Strafverfahren hat die Staatsanwaltschaft zu beweisen, dass sich ein Beschuldigter strafbar gemacht hat. Sonst wird das Verfahren eingestellt oder der Angeklagte freigesprochen. Es ist also nicht Sache der Beschuldigten, nachzuweisen, dass sie unschuldig sind.
Trotzdem ist es nützlich, wenn Beschuldigte Beweise vorlegen, welche die Darstellung der Staatsanwaltschaft widerlegen oder in Frage stellen können. Das ist nicht nur während der Strafuntersuchung möglich, sondern auch noch an der Verhandlung vor Gericht. Dann ist aber die letzte Gelegenheit, um Beweisanträge zu stellen – etwa für die Einvernahmen von Zeugen, einen Augenschein oder eine Expertise. Das Gericht entscheidet dann, ob den Anträgen entsprochen wird. Bestehen an der Täterschaft keine vernünftigen Zweifel, kann es darauf verzichten.
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