Erika Bühler aus Lanterswil TG litt vergangenen Herbst akut an einer «altersbedingten feuchten Makuladegeneration». Ein Fleck im Sichtfeld ihres rechten Auges behinderte sie. Zudem sah sie gerade Linien nur noch gewellt. Die Krankheit kann zur Erblindung führen. Die 74-Jährige liess sich in der Augenklinik St. Gallen behandeln. Ein Arzt spritzte ihr dort das Medikament Eylea ins rechte Auge. Später folgten zwei weitere Injektionen.
Die ehemalige Buchhalterin sieht heute wieder gut. Doch sie ärgert sich trotzdem: «Meine Rechnung war skandalös hoch.» Denn jede Spritze mit Eylea kostet Fr. 1063.35.
Dabei ginge es auch erheblich günstiger, erzählte ihr der Augenarzt: Eine Spritze gegen die Makuladegeneration mit dem Arzneimittel Avastin kostet laut Helsana-Arzneimittelreport nur 80 bis 170 Franken. Avastin helfe gegen ihr Augenleiden genauso gut wie Eylea oder Lucentis, das Fr. 1020.15 pro Spritze kostet.
Zahlreiche internationale Studien stützen die Einschätzung des Arztes. Das Problem ist nur: Avastin ist lediglich zur Behandlung von Krebs zugelassen. Herstellerin Roche beantragte beim Bundesamt für Gesundheit für Avastin nie eine Zulassung zur Behandlung der Makuladegeneration. Die Folge: Krankenkassen dürfen das Mittel nicht bezahlen, wenn Ärzte es gegen die Augenkrankheit einsetzen.
Das kommt die Prämienzahler teuer zu stehen: Die Ausgaben der Krankenkassen für Makula-Medikamente haben sich in sieben Jahren mehr als verdoppelt. 2014 gaben sie 117 Millionen Franken dafür aus. 2021 waren es bereits 250 Millionen Franken. Davon entfielen 167 Millionen auf Eylea von Bayer und 80 Millionen auf Lucentis von Novartis. Das zeigen Zahlen der Marktforschungsfirma Sasis AG und des Krankenkassenverbands Curafutura.
Protestbrief an Preisüberwacher und Gesundheitsminister
Erika Bühler liess die Sache keine Ruhe. Sie schrieb Gesundheitsminister Alain Berset, dem Preisüberwacher und dem Krankenkassenverband Santésuisse. Sie kritisierte, dass solche Praktiken die Gesundheitskosten in die Höhe treiben. Bühler bat die Verantwortlichen, «die Sache in Ordnung zu bringen».
Das Bundesamt für Gesundheit äusserte sich im Namen von Berset unverbindlich. Und Santésuisse-Chef Heinz Brand schrieb zurück: «Der unverhältnismässig hohe Preis» dieser Mittel «ist auch für die Krankenversicherer ein Ärgernis.» Preisüberwacher Stefan Meierhans antwortete: «Patienten sollten beim Kostensparen unterstützt werden.»
Das wäre einfach – gäbe es da nicht eine bundesrätliche Verordnung, wonach die Krankenkassen die Kosten von Medikamenten nur bezahlen dürfen, wenn sie für die zu behandelnde Krankheit zugelassen sind. Ausnahme: Die Kassen dürfen nicht zugelassene Medikamente vergüten, wenn für die Krankheit kein anderes Medikament zur Verfügung steht. Wörtlich heisst es in der Verordnung, dass die Vergütung nur erlaubt ist, wenn «wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame und zugelassene Behandlungsmethode verfügbar ist».
Meierhans fordert nun vom Bundesamt für Gesundheit: Es solle die Verordnung um einen Satz ergänzen. Die Kassen sollen nicht zugelassene Medikamente zur Behandlung einer Krankheit auch dann bezahlen dürfen, wenn sie gleichwertig und günstiger sind als zugelassene Mittel. So könnten die Krankenkassen die günstigen Augenspritzen künftig vergüten.
Würden Ärzte stets Avastin verschreiben, könnten die Prämienzahler jedes Jahr 210 bis 230 Millionen Franken sparen. Das Bundesamt prüft zurzeit eine entsprechende Änderung der Verordnung, sagt ein Sprecher der Behörde.