Das ältere Vermieterehepaar will nichts anbrennen lassen. Der 74-jährige Mann und seine 67-jährige Gattin lassen sich vor dem Einzelrichter am Regionalgericht Bern-Mittelland gleich zweifach anwaltlich vertreten. Die Rechtsanwältin, die ihren Fall bearbeitet hat, ist ihnen nicht genug. Das Ehepaar bestand darauf, dass auch deren Chef an der Verhandlung teilnimmt. Er ist Gründer der Anwaltskanzlei, gilt als begnadeter Rhetoriker und soll das Plädoyer halten.
Der Mieter dagegen wirkt im Gerichtssaal neben seiner Anwältin etwas verloren. Der drahtige Mann wohnt seit zehn Jahren in einer Liegenschaft des Paares im Kanton Bern. Dann bekam er per Einschreiben die Kündigung für seine 3,5-Zimmer-Wohnung. Ende Januar 2018 hätte der gelernte Maler ausziehen sollen, kurz vor seinem 60. Geburtstag. Angeblich wegen Eigenbedarfs der Vermieter. Der Maler war überzeugt, dass es sich um eine Rachekündigung handelte. Denn er hatte seine Rechte als Mieter oft wahrgenommen.
Sank der Hypozins, forderte er jeweils die fällige Mietzinssenkung ein. Und im Jahr 2009 verhinderte er eine Erhöhung. Das Ehepaar wollte «wegen Orts- und Quartierüblichkeit» 180 Franken mehr pro Monat. Vor der Schlichtungsstelle erreichte der Mann aber, dass die Miete um 50 Franken gesenkt werden musste. Heute zahlt er für die 66 Quadratmeter grosse Wohnung monatlich 1130 Franken, Nebenkosten inklusive.
Der Vermieter klagt über Eisenmangel und Hämorrhoiden
Nun also die Kündigung. Das wollte er nicht hinnehmen und hatte Erfolg: Die Schlichtungsstelle stufte sie als ungültig ein. Daraufhin klagte ihn das Vermieterpaar vor Mietgericht ein.
Deren Anwalt holt nun weit aus. Er beschreibt, wie der Vermieter und seine Frau mit ihren Kindern zusammen nach Lösungen suchten, als die Gesundheit nachliess: «Das Treppensteigen fiel dem Vater schwer, der grosse Haushalt wurde der Mutter zu anstrengend.» So sei man zum Schluss gekommen, dass die Eltern aus ihrer 200 Quadratmeter grossen 5,5-Zimmer-Wohnung im Obergeschoss der einen Liegenschaft in die viel kleinere 3,5-Zimmer-Wohnung im Hochparterre der anderen Liegenschaft ziehen sollten – eben in jene des Malers. Detailreich schildert der Anwalt die körperliche Befindlichkeit des Vermieters: Arthrose mit schubweisen Schmerzen, Armbruch, Hämorrhoiden, Eisenmangel und einiges mehr.
Dass das Paar einen unbequemen Mieter loswerden wollte, will der Anwalt nicht gelten lassen. «Die Behauptung einer Rachekündigung ist an den Haaren herbeigezogen.»
Die Anwältin des Mieters beantragt, die Kündigung als missbräuchlich und damit ungültig zu erklären. Allenfalls sei das Mietverhältnis um zwei Jahre zu erstrecken. Eisenmangel oder Hämorrhoiden hätten mit dem Treppensteigen herzlich wenig zu tun. Es sei ein klarer Fall von Rachekündigung. Andere geeignete Wohnungen seien frei geworden, etwa im Tiefparterre, doch diese habe man neu vermietet.
Der Einzelrichter lässt sich davon wenig beeindrucken. Der Mieter müsse nach Praxis des Bundesgerichts beweisen können, dass es sich um eine Rachekündigung handle. Der Vermieter müsse einzig glaubhaft machen, dass es andere Gründe für die Kündigung gab.
Schliesslich einigen sich die Parteien auf einen Vergleich: Der Maler kann 14 Monate über den Kündigungstermin hinaus in der Wohnung bleiben. Der Vermieter übernimmt die Gerichtskosten, und jede Partei trägt ihre Anwaltskosten selbst.
Anfechtung innert 30 Tagen
Dringender Eigenbedarf liegt vor, wenn der Vermieter nachweisen kann, dass er oder nahe Familienangehörige die Wohnung oder das Haus dringend benötigen. Ist der Eigenbedarf ausgewiesen, können Mieter im Härtefall trotzdem eine Erstreckung des Mietverhältnisses verlangen. Die Verlängerung wird aber kürzer ausfallen als ohne Eigenbedarf der Vermieter. Im Zweifelsfall sollten Mieter eine Kündigung innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt bei der Schlichtungsbehörde anfechten. Das gilt besonders dann, wenn man eine Rachekündigung vermutet. In solchen Fällen ist eine Kündigung missbräuchlich und ungültig. Die Frage einer Erstreckung stellt sich nur bei gültigen Kündigungen.