Wahlen und Abstimmungen haben in der Schweiz immer gut funktioniert. Seit 1848 gab es gemäss Bundeskanzlei 615 eidgenössische Urnengänge, dazu kommen unzählige in den Kantonen und Gemeinden. In den gut 2400 Gemeinden stehen Tausende von Urnen bereit. Seit 40 Jahren kann man zudem brieflich abstimmen. Für die Stimmcouverts stehen noch 14 569 Briefkästen zur Verfügung. Von Komplikationen ist nichts bekannt.
Trotzdem tüfteln die Verwaltungen von Bund und Kantonen schon seit 18 Jahren an der elektronischen Stimmabgabe. Das heisst: Die Bürger sollen künftig von zu Hause aus per Computer abstimmen können. Das Ganze nennt sich E-Voting. Die Kantone entscheiden selbst, ob und wann sie das einführen wollen. Die Übung ist teuer: Bis Ende 2017 gab laut Bundeskanzlei allein der Bund schon rund 15 Millionen Franken dafür aus.
Im Kanton Freiburg nutzen nur sehr wenige E-Voting
Zwei Anbieter buhlen mit ihren E-Voting-Plattformen um die Gunst von Bund und Kantonen: die Schweizerische Post und der Kanton Genf. Die Kantone FR, NE und TG haben sich bereits für die Lösung der Post entschieden. Für Kosten von 746 000 Franken können im Thurgau Auslandsschweizer und die Einwohner von vier Gemeinden fünf Jahre lang elektronisch abstimmen. Die dreijährige Übung kostet bis 2018 in Freiburger Pilotgemeinden 380 000 Franken. Doch nur 18,9 Prozent von 6633 E-Voting-Berechtigten nahmen an der letzten Abstimmung teil. Im Kanton Neuenburg können zurzeit 36 000 Bürger elektronisch abstimmen. Im Durchschnitt machen das aber nur 19 Prozent von ihnen.
Mehrere Kantone haben Sicherheitsbedenken
Auch der Kanton Basel-Stadt hat die Post-Lösung gewählt. Bis 2019 sollen dort alle Stimmberechtigten elektronisch abstimmen können. Kosten: 5,9 Millionen Franken. SG, AG, LU und BE haben sich für die Genfer Plattform entschieden. Der Aargau plant ab 2019 in fünf Gemeinden Pilotversuche. Budgetierte Kosten: 1,66 Millionen. GR, SG, SO, GL und ZH haben sich noch für kein System entschieden, wollen E-Voting aber ebenfalls einführen. BL, VD und VS haben Sicherheitsbedenken und scheuen die Kosten. Sie fragen sich auch, was E-Voting bringen soll. Schliesslich funktioniere das Wahlsystem gut.
Die Post behauptete vor zwei Jahren, die elektronische Stimmabgabe sei sicherer und transparenter als die Abgabe im Stimmlokal. Dabei sollte gerade eine Stimmabgabe nicht transparent sein, denn es gilt das Abstimmungsgeheimnis. Niemand soll erfahren, wer wie gestimmt hat.
Durch das E-Voting verspricht sich die Verwaltung aber im Gegenteil mehr Kenntnisse über die Wähler. Die Staatskanzlei des Kantons Glarus etwa freut sich auf die eidgenössischen Wahlen 2019. Bis dann will der Kanton das E-Voting eingeführt haben. Grund: «Die Auswertung von soziodemografischen Daten der Stimmenden ist mit dem elektronischen Stimmkanal einfacher möglich.»
Es droht der gläserne Stimmbürger. Hernani Marques vom Chaos Computer Club Schweiz erklärt: «Bei jeder Stimmabgabe werden die Daten des Benutzers registriert, und zwar durch die IP-Adresse des Computers.» Damit ist die abstimmende Person eindeutig identifiziert. Das heisst: Gemeinden, Kantone und Bund könnten feststellen, wer wie abgestimmt hat.
Stimmbürger müssten mehrere Codes eintippen
saldo hat die Demoversion der Post getestet (www.evoting.ch/index_de.php). Dazu braucht man einen Stimmrechtsausweis mit einem 20-stelligen Initialisierungscode, einem 9-stelligen Bestätigungscode und einem 8-stelligen Finalisierungscode. Bei einer Abstimmung würde man diese Unterlagen zugeschickt bekommen. Einfach geht anders.
Doch lässt sich mit diesem umständlichen Abstimmungsverfahren definitiv vermeiden, dass die Voten manipuliert werden? Datenexperte Marko Kovic bezweifelt das. Er hat im vergangenen Sommer eine Studie unter anderem über die zwei E-Voting-Systeme verfasst: «Die beiden Systeme sind grundsätzlich unsicher, weil sie zentralisiert sind.»
Gleicher Meinung ist Martin Steiger, Medienanwalt und Sprecher des Vereins «Digitale Gesellschaft»: «Es ist unmöglich, diese Infrastruktur abzusichern.» Wer E-Voting manipulieren wolle, habe beinahe unbeschränkte Möglichkeiten. «Und wir wissen, dass auch alles versucht wird.»
Bund und Kantone wollen mit dem E-Voting auch Jugendliche vermehrt zum Abstimmen animieren. Adrian Vatter, Professor für Schweizer Politik an der Uni Bern, ist skeptisch: «Bisherige Studien weisen darauf hin, dass E-Voting nicht zu einer nachhaltigen Steigerung der Abstimmungsbeteiligung führt.» Die Teilnahme hänge «hauptsächlich vom Vorhandensein eines allgemeinen politischen Interesses ab. Fehlt das Interesse, kann es auch nicht durch technische Mittel kompensiert werden.»