Die Klägerin wartet mit einem Kollegen vor dem Gerichtssaal des Bezirksgerichts Bülach ZH. Ein paar Meter daneben stehen die Geschäftsführerin der beklagten Firma und ihr Anwalt. Der Gerichtssekretär bittet die Parteien in den Gerichtssaal.
Der Einzelrichter begrüsst die Parteien und eröffnet die Verhandlung. Die Klägerin, eine gebürtige Thailänderin, kommt sofort zur Sache. Sie sei von September 2018 bis August 2020 für die Duty-free-Firma am Flughafen Zürich tätig gewesen. Sie habe auf Abruf gearbeitet – «rund 20 Stunden pro Woche». Der Stundenlohn lag an Wochentagen bei 23 Franken brutto, an Feiertagen und an Wochenenden bei 33 Franken.
«Im Juni 2020 erhielt ich die Kündigung. Für die zwei Monate Kündigungsfrist erhielt ich aber keinen Lohn mehr», fährt die Klägerin fort. Dafür verlangt sie genau Fr. 5182.30. Diese Summe entspreche dem Bruttolohn für zwei Monate, gemessen am Durchschnittslohn des letzten Jahres. «Ich bin auf das Geld angewiesen.»
Firma zahlte keinen Lohn, da die Frau auf Abruf gearbeitet habe
Die ehemalige Angestellte erläutert dem Einzelrichter, das Duty-free-Unternehmen habe die Kündigung mit der coronabedingten Schliessung aller Geschäfte im Flughafen begründet. Das könne sie nicht akzeptieren. «Das Gesetz sieht vor, dass Angestellte auch dann noch einen Lohn erhalten, wenn der Arbeitgeber keine Arbeit mehr anbieten kann.»
Der Anwalt der beklagten Firma weist die Forderung zurück. Die Geschäfte im Flughafen hätten nicht von sich aus, sondern wegen der behördlichen Massnahmen schliessen müssen. «Dieses Risiko muss ein Unternehmen nicht tragen.» Der Klägerin stehe deshalb kein Lohn zu. Das gelte umso mehr, als die ehemalige Angestellte auf Abruf gearbeitet habe.
Die Lage sei für die Firma dramatisch gewesen, schildert der Anwalt. Erst ab September 2020 habe sich die Lage etwas entspannt. «Da es keine Arbeit mehr gab, musste meine Mandantin viele Leute entlassen. Die Firma erhielt erst ab 2021 Kurzarbeitsentschädigung.» Aus Kulanz habe die Beklagte der ehemaligen Mitarbeiterin angeboten, für die Monate Juli und August 2600 Franken zu bezahlen. «Zuerst war sie einverstanden, doch dann überlegte sie es sich anders.»
Die Klägerin erhielt einen Teil ihrer Forderungen
Der Einzelrichter möchte die Lage mit dem Gerichtssekretär besprechen. Er bittet die Parteien, vor dem Saal zu warten. Nach einer Stunde wird die Verhandlung fortgesetzt. Die beiden Parteien einigen sich auf einen Vergleich, den sie vertraulich behandeln wollen. saldo weiss: Die Klägerin ist mit dem Ergebnis zufrieden. Gerichtskosten fallen nicht an, da arbeitsrechtliche Forderungen bis zu 30 000 Franken kostenlos sind.
Der Arbeitgeber muss den vereinbarten Lohn auch in Krisen zahlen
Arbeitgeber schulden Angestellten in jedem Fall den vertraglich vereinbarten Lohn – auch wenn sie ihnen keine Arbeit mehr anbieten können. Angestellte müssen die Stunden, die sie nicht ar-beiten können, nicht nachholen. Grund: Das Betriebsrisiko tragen die Arbeitgeber, nicht die Angestellten. Arbeitgeber können Kurzarbeitsentschädigungen für die Angestellten geltend machen, wenn sie durch behördliche Coronamassnahmen wirtschaftliche Einschränkungen erleiden. Zudem zahlen Bund und Kantone von Coronamassnahmen betroffenen Betrieben teilweise Ausfallentschädigungen und stellen ihnen Überbrückungskredite zur Verfügung. Für gekündigte Angestellte haben die Betriebe keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Die Gekündigten haben Anrecht auf den vollen Lohn. Bei unregelmässig Beschäftigten beziehen sich die Gerichte während der Kündigungsfrist oft auf den durchschnittlichen Lohn der letzten zwölf Monate.