Dubiose Geschäfte von Apotheken - Patienten zahlen zu viel
Sandoz zahlt Medikamentenhändlern und Apotheken je nach Verkaufsumsatz hohe Rückvergütungen. Diese Rabatte gehörten aber nach Gesetz den Krankenkassen und Patienten. Ihnen entgehen Millionen.
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saldo 1/2007
24.01.2007
Markus Guhn
Haben Sie in den letzten eineinhalb Jahren Medikamente von Sandoz oder Ecosol gekauft? Und haben Sie diese Medikamente in einer der fast 200 Amavita-, Winconcept- oder Coop-Vitality-Apotheken erstanden? Dann hätten Sie Anspruch auf eine Preisreduktion gehabt. Mit einem ausgefeilten Trick hat man Sie um bis zu 40 Prozent Rabatt gebracht.
Das belegen zwei geheime Verträge zwischen den Novartis-Töchtern Sandoz und Ecosol und der grössten Schweizer Medikamentengrossistin Galenica....
Haben Sie in den letzten eineinhalb Jahren Medikamente von Sandoz oder Ecosol gekauft? Und haben Sie diese Medikamente in einer der fast 200 Amavita-, Winconcept- oder Coop-Vitality-Apotheken erstanden? Dann hätten Sie Anspruch auf eine Preisreduktion gehabt. Mit einem ausgefeilten Trick hat man Sie um bis zu 40 Prozent Rabatt gebracht.
Das belegen zwei geheime Verträge zwischen den Novartis-Töchtern Sandoz und Ecosol und der grössten Schweizer Medikamentengrossistin Galenica. Ziel dieser «Promotionsvereinbarungen»: Sandoz will den aktuellen Generika-Marktleader Mepha überflügeln und selbst die Nummer eins werden. Das klappt aber nur, wenn die drei Apothekenketten der Galenica ihren Kunden die Sandoz-Produkte regelrecht aufschwatzen.
Der Pharmakonzern lässt sich diese Überredungskünste einiges kosten. Für jeden Apotheker, der sich an Sandoz und Ecosol verkauft, gibt es gemäss einem ersten Vertrag jährlich 10 000 Franken. Noch grosszügiger wird der Galenica-Konzern bedacht: «Die Höhe der Provision beträgt 40 Prozent der realisierten Umsätze», heisst es in einem zweiten Vertrag.
Beide sind im Juli 2005 in Kraft getreten und laufen noch bis Mitte 2007. Wenn die Apotheker die ehrgeizigen Umsatzziele von Sandoz erreicht haben, sind bis heute schon rund 17 Millionen Franken Rückvergütungen geflossen.
Der Rabatt des Apothekers gehört den Patienten
Ein Insider erklärt, wie korrumpierte Apotheker vorgehen und ihren Kunden Sandoz-Produkte aufdrängen: «Der Apotheker kauft bei Galenica einfach nur noch Sandoz- und Ecosol-Generika. Kommt ein Patient mit einem Rezept für eine andere Marke, sagt der Apotheker, er müsse das Medikament zuerst bestellen. Aber er könne ein gleichwertiges Präparat von Sandoz sofort mitgeben.» Die meisten Patienten verlassen sich auf den Rat ihres Apothekers und kaufen das sofort verfügbare Medikament. Zum vollen Preis, versteht sich.
Das ist illegal. «Eine Provision, die den Apotheker bei der Medikamentenabgabe beeinflusst, ist eindeutig verboten», sagt Andreas Balsiger, Chefjurist des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic. Um eine Beeinflussung zu verhindern, «muss jeder Rabatt - und zwar ohne Ausnahme - an den Patienten oder die Krankenkasse weitergegeben werden», stellt Balsiger klar. Die Patienten und Krankenkassen haben also Anspruch auf die Provision des Apothekers. So regelt es das Heilmittelgesetz (HMG) und das Krankenversicherungsgesetz (KVG).
Bei Sandoz weiss man das. Deshalb werden die 40 Prozent Provision für den Galenica-Konzern auch nicht direkt an den Zwischenhändler oder die Apotheker entrichtet. «Sandoz verwischt die Spuren und überweist das Geld an die Vifor, eine Galenica-Tochter. So fällt der Preisvorteil nirgends auf», sagt der Insider. Ob und wie die Apotheker auch von diesen Zahlungen profitieren, ist nicht klar.
Sandoz und Galenica bestreiten, dass diese Gelder den Patienten zustehen: «Solche Verträge hat Galenica mit verschiedenen Firmen abgeschlossen. Bei diesen Vertretungsgeschäften erbringen wir eine Leistung, die durch den Pharmahersteller vergütet wird», sagt Galenica-Sprecherin Christina Hertig. Ähnlich rechtfertigt Sandoz-Sprecherin Claudia Schaufelberger die hohen Zahlungen: «Die Abgeltung für die Marktleistungen entspricht dem Aufwand, den wir intern auch hätten, wenn unsere Mitarbeitenden diese erbringen würden.» Konkret soll Galenica die Sandoz/Ecosol-Pillen gezielt bewerben und den Aussendienst betreuen.
Doch ist das 40 Prozent vom Pillenpreis wert? Ein Pharmahersteller, der anonym bleiben will, schüttelt darüber den Kopf: «Die Kosten des Aussendienstes und seiner Promotionsleistungen betragen normalerweise weniger als 5 Prozent, in Ausnahmefällen maximal 10 Prozent des Fabrikabgabepreises.»
Swissmedic-Jurist: «Umgehungen gibt es bei jedem Gesetz»
Sandoz und Galenica ist es mit diesem Trick gelungen, eine Lücke im HMG und KVG zu nutzen. Denn mit der Zahlung der fetten Provisionen an eine andere Konzerntochter und der Deklaration als Entgelt für Leistungen umgeht Galenica die Weitergabepflicht an Patienten und Krankenkassen. «Der Gesetzgeber hat nicht an solche Konstrukte gedacht. Wie bei jedem Gesetz gibt es auch hier Möglichkeiten der Umgehung», sagt Swissmedic-Chefjurist Balsiger. Ihm seien die Hände gebunden: «Gegen übertriebene Provisionen für normale Dienstleistungen zwischen Hersteller und Grossist sind wir machtlos.»
Swissmedic könnte nur für die Zahlungen an die Apotheker eine Busse verhängen. Doch die maximal mögliche Geldstrafe von 50 000 Franken ist eine Bagatelle im Vergleich zum Umsatz, den sich Sandoz erkauft hat. Ein vertraulicher Bericht der Marktforschungsstelle IMS Health zeigt: Die Monatsumsätze von Sandoz haben sich seit Mitte 2005 mit knapp 12 Millionen Franken fast verdoppelt - seit diesem Zeitpunkt sind die Verträge mit Galenica in Kraft. Der Marktanteil ist im gleichen Zeitraum um 5,3 auf 34,3 Prozent gestiegen. In den Galenica-Apotheken sollte der Sandoz-Marktanteil sogar auf über 60 Prozent gesteigert werden, wie der Anhang zum Vertrag belegt.
Generikum ist nicht gleich Generikum
Dafür opfern die Apotheker an der Front nicht nur ihre Integrität, sondern gefährden auch die Gesundheit der Patienten: «Die Unterschiede zwischen zwei Generika können deutlich grösser sein als zwischen Generikum und dem Originalpräparat», sagt Karin Fattinger, Internistin des Berner Inselspitals. Das heisst: Obwohl das verschriebene Generikum gut vertragen wird, kann ein anderes eine andere Wirkung oder sogar Nebenwirkungen haben. «Je nach Wirkstoff kann deshalb die Umstellung von einem Generikum auf ein anderes problematisch sein. Man sollte immer das gleiche Generikum einsetzen», sagt Fattinger.
Krankenkassen wollen Apotheker überprüfen
Jetzt wollen die Krankenkassen eingreifen. Helsana-Chef Manfred Manser: «Der Fall zeigt, dass sich Hersteller und Vermarkter auf Kosten der Prämienzahler ungeniert bedienen. Hier geht es nicht mehr um die Gesundheit, sondern nur um die Maximierung des Umsatzes auf dem Buckel von ahnungslosen Patienten.» Helsana will ab sofort verstärkt prüfen, welche Apotheker ihren Weitergabepflichten nachkommen.
Die Krankenkasse CSS will rückwirkend alle Zahlungen an die betroffenen Apotheken durchleuchten: «Falls sich herausstellt, dass Rabatte nicht an Kunden weitergegeben wurden, werden wir zumindest die direkten Provisionen an die Apotheker anteilsmässig einfordern», sagt CSS-Sprecher Stephan Michel.
Mit aggressiver Werbung wollte die Novartis-Tochter in der Vorweihnachtszeit den Patienten weismachen, Sandoz-Produkte seien günstig. Die Verträge mit Galenica beweisen aber, dass es viel günstiger ginge. Ein Sandoz-Plakat verspricht: «Die einzigen Medikamente, die auch im Portemonnaie wirken.» In welchem Portemonnaie, hat Sandoz nicht erwähnt.
So funktioniert das Umgehungsgeschäft
Hoher Umsatz - grosse Rückvergütungen. Das ist die Geschäftsbasis von Sandoz und Galenica. Damit die unzulässigen Rabatte nicht so einfach nachgewiesen werden können, laufen die Gelder über verschiedene Firmen:
1. Die Sandoz zahlt jährlich 10 000 Franken pro Apotheke direkt an die Galenica-Tochter Galenicare.
2. Galenicare verteilt das Geld an ihre 200 Apotheken.
3. Die Apotheken melden die Umsätze der Galenicare.
4. Galenicare gibt die Zahlen an die Galenica-Tochter Vifor weiter.
5. Die Vifor stellt Rechnung an Sandoz (40 Prozent der realisierten Umsätze).
6. Sandoz überweist den Betrag (Kick-Back) an Vifor.
7. Der Kick-Back versickert im Galenica-Konzern. Ob die Apotheker auch einen Teil davon erhalten, ist unklar.