Basel, Camignolo TI, Muttenz BL, Luzern, Lausanne und Zürich haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den 17 Orten der Schweiz, in denen an bestimmten Strassen die Luft im vergangenen Jahr mehr giftiges Stickstoffdioxid NO2 enthielt als erlaubt. Das zeigen neue Zahlen des Bundesamts für Umwelt. Im Jahresdurchschnitt sind in der Schweiz 30 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft erlaubt. In Camignolo lag der Wert bei 47 Mikrogramm (siehe Grafik im PDF). Immerhin: Insgesamt gingen die Schadstoffkonzentrationen leicht zurück. Im Vorjahr lagen sie noch an 23 von 95 Messstellen über dem Grenzwert.
Der leichte Rückgang ist für Luft-experten kein Grund zur Entwarnung: Stickstoffdioxide machen wie Feinstaub und Ozon krank (siehe unten). Sie erhöhen das Risiko für Atemweg-, Herz- und Kreislauferkrankungen (saldo 8/2017). Wegen dreckiger Luft gibt es laut dem Bundesamt für Umwelt jährlich «2200 vorzeitige Todesfälle». Hinzu kommen finanzielle Schäden in Milliardenhöhe, etwa an Böden und Gebäuden.
Andrea von Känel ist Präsident der Schweizerischen Gesellschaft der Lufthygiene-Fachleute Cercl’Air und Leiter des Lufthygieneamts beider Basel. Er sieht Handlungsbedarf: «Wir müssen den Gesundheitsschutz der Bevölkerung beim NO2 verbessern.» Gerade in den Städten seien viele Menschen vom Schadstoff betroffen. Im Kanton Basel-Stadt prüfe man daher unter anderem zusätzliche Massnahmen wie mehr Tempo-30-Zonen oder höhere Motorfahrzeugsteuern für dreckige Autos.
Stickstoffdioxide entstehen vor allem bei der Verbrennung von Öl oder Gas in Motoren und Anlagen. Zu den grössten Verursachern gehört der Strassenverkehr. Neuere Dieselautos stossen bis zu 16 Mal mehr giftiges Gas aus, als sie auf dem Papier angaben (saldo 8/2017). Grund: Renault, Fiat, Ford, VW oder Mercedes tricksten jahrelang massiv bei der Abgasreinigung.
«Ohne Manipulationen bis zu 50 Prozent weniger Stickoxide»
Eine neue Studie des Amts für Abfall, Energie und Luft des Kantons Zürichs kommt nun zum Schluss: «Ohne Manipulationen und legale Tricks bei der Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen würde der Strassenverkehr bis 50 Prozent weniger Stickoxide ausstossen.» Die Zürcher Fachleute hatten von 2002 bis 2018 mit Laserschranken die Abgase von 356 000 Fahrzeugen gemessen, während sie vorbeifuhren. Sie fanden so heraus, dass Dieselfahrzeuge mit Abgasnorm Euro 4 oder 5 mehr NO2 ausstiessen als Uralt-Autos. Die Modelle machen laut dem Amt zwei Drittel der aktuellen Dieselflotte aus. Sie werden also die Luft noch viele Jahre lang verpesten.
Anwohner viel befahrener Strassen besonders betroffen
Für Christian Bach, Abgasexperte des Forschungsinstituts Empa in Dübendorf ZH, ist klar: «Ohne diese Mehremissionen gäbe es an stark verkehrsbelasteten Orten wahrscheinlich geringere NO2-Überschreitungen.»
Auch Luftexperte Andrea von Känel macht den «Dieselskandal» dafür verantwortlich, dass «die NO2-Emissionen landesweit nicht im gleichen Mass abgenommen haben, wie die verschärften Grenzwerte es erwarten liessen». Vor allem Anwohner viel befahrener Strassen sind laut der Zürcher Studie wegen der Abgas-Tricksereien «mindestens fünf Jahre» länger als geplant den «übermässigen NO2-Belastungen» ausgesetzt.
Auch Ozonwerte zu hoch
Vier Mal lösten die Behörden in den Kantonen nördlich der Alpen in diesem Sommer die sogenannte «Ozon-Information» aus – zwei Mal mehr als im Vorjahr. Sie informierten die Bevölkerung über die Medien, dass die Ozonwerte hoch seien, und warnten vor anstrengender körperlicher Aktivität im Freien. Denn Ozon kann Augen und Atemwege reizen. Viele Ozonwerte lagen im Juni und Juli über 180 Mikrogramm pro Kubikmeter, südlich der Alpen gar über 240 Mikrogramm. Das ist das Doppelte des Grenzwertes von 120 Mikrogramm. Bei der Entstehung von Ozon spielt oft auch Stickstoffdioxid eine Rolle. Unter anderem bildet sich Ozon aus Stickoxiden wie NO2 und Sauerstoff, wenn die Sonne stark scheint.