Anna Unold aus Chur litt unter heftigen Rückenschmerzen. Grund dafür war ein eingeklemmter Nerv im Kreuz. Ein Arzt verschrieb der 83-Jährigen Fentanyl-Pflaster. Dieses Schmerzmittel gehört zu den starken Opioiden. Seit Jahren kritisieren Fachleute, manche Ärzte würden solche Mittel zu leichtfertig verschreiben («Gesundheitstipp» 6/2019). Auch bei kleineren Verletzungen würden immer mehr Opioide verordnet. Das zeigt auch eine Studie der Schmerzspezialistin Maria Wertli vom Kantonsspital Baden. Wertli sagt: «Dieser Trend ist besorgniserregend.»
Opioide haben «sehr ungünstige Nutzen-Risiko-Bilanz»
Der Pharmakologe Stefan Weiler vom Berner Inselspital und der Arzt Etzel Gysling aus Wil LU schreiben in der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik», wie Ärzte die Opioide einsetzen sollten. Die beiden Ärzte werteten aktuelle wissenschaftliche Daten aus. Sie empfehlen, Ärzte sollten Opioide möglichst restriktiv verschreiben – wegen der «sehr ungünstigen Nutzen-Risiko-Bilanz».
Opioide könnten «ausnahmslos» dazu führen, dass Patienten sich daran gewöhnen und süchtig werden. Tabletten mit dem Wirkstoff Fentanyl, die man unter der Zunge zergehen lässt, sind nur für Krebspatienten zugelassen. Ärzte verschreiben Fentanyl-Pflaster aber auch bei anderen Krankheiten. Die Zeitschrift «Pharma-Kritik» rät, man solle das Medikament rasch wieder absetzen. Morphin hat sich laut «Pharma-Kritik» bei Krebspatienten bewährt.
Bei Arthrose und Rückenschmerzen sei der Nutzen aber nicht belegt. Morphin kann laut «Pharma-Kritik» viele unerwünschte Nebenwirkungen verursachen – von Übelkeit bis zu Atemstörungen, und selbst Todesfälle kommen vor. Ein weiteres Problem: Viele Patientinnen und Patienten gewöhnen sich daran, sodass die Dosen stetig erhöht werden.
Das Schmerzmittel Oxycodon ist gefährlicher als Morphin
Das Schmerzmittel Oxycodon verzeichnete in den letzten Jahren besonders hohe Zuwachsraten. Studien zeigen jedoch keinen Vorteil gegenüber Morphin, dafür ein grösseres Risiko von Atemstörungen. Zudem ist das Suchtrisiko hoch. Deshalb sollten es Ärzte gemäss «Pharma-Kritik» nur Krebspatienten langfristig geben. Gemäss einer aktuellen ETH-Studie ist Tramadol das meistverkaufte opioide Schmerzmittel in der Schweiz. Es eignet sich laut «Pharma-Kritik» als einziges Opioid für die Langzeittherapie bei Patienten, die nicht an Krebs leiden.
Allerdings seien die Daten zum Nutzen bei Arthrose «wenig überzeugend». Ärzte würden das Suchtrisiko oft unterschätzen. Etzel Gysling sieht die Ärzte in der Verantwortung: «Sie müssen ihren Patienten sagen, dass sie kein Medikament nehmen müssen, wenn sie keine oder nur wenig Schmerzen haben.» Statt routinemässig Tabletten zu schlucken, sollten Patienten den Schmerzmittelbedarf überprüfen. Zudem rät Gysling, auf ein schwächeres Mittel zu wechseln, wenn die Schmerzen nachlassen.
Kälte, Wärme und Bewegung helfen bei chronischem Schmerz
Maria Wertli empfiehlt, chronische Schmerzen nicht mit Medikamenten, sondern mit Kälte oder Wärme, Bewegung oder Physiotherapie zu behandeln. Es lohne sich, auszuprobieren, was am besten hilft. Anna Unold setzte die FentanylPflaster ab. «Ich spürte zwar keine Nebenwirkungen», sagt sie. «Aber ich bin überzeugt, dass mir diese Pflaster langfristig nicht guttun.» Jetzt macht Unold täglich Turnübungen. Und sie geht jeden Tag zweimal mit ihren Hunden spazieren oder Velo fahren. «Das tut mir gut: So komme ich an die frische Luft und treffe Leute.»
Die Parmafirma Mundipharm stellt Mittel wie Oxycontin (enthält Oxycodon) und MST Continus (Morphin) her. Sie weist darauf hin, dass Ärzte ihre Patienten regelmässig untersuchen müssen, um sicherzustellen, dass sie die Mittel so kurz wie möglich und in der niedrigsten wirksamen Dosis einnehmen. Die Firma Lipomed gibt an, sie weise Ärzte darauf hin, dass sie ihr Mittel Kapanol (Morphin) nur verordnen dürften, wenn andere Schmerzmittel nicht ausreichen.
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