Seit 25 Jahren leidet Thomas Waldburger (Name geändert) an Depressionen. Mehrmals war er in psychiatrischen Kliniken. Im Sommer 2015 fühlte er sich wieder besser. Er setzte seine Medikamente ab. Die Folge: «Ich konnte nicht mehr schlafen, fühlte mich dünnhäutig, ausgelaugt und war weinerlich», erinnert er sich. Er merkte, dass er Hilfe brauchte, und machte eine Therapie in der Privatklinik Hohenegg in Meilen ZH.
«Man muss nicht jedes Problem zurückverfolgen»
Die Therapie in Meilen war anders als alle bisherigen Behandlungen: «Die Therapeutin wollte nicht nur mit mir, sondern auch mit meiner Frau sprechen.» In den gemeinsamen Sitzungen übte Thomas Waldburger, sich nicht zurückzuziehen, sondern mit seiner Frau zu sprechen. Zum Beispiel, wenn er an aufkommenden Ängsten leidet: «Spreche ich mit meiner Frau darüber, merke ich, dass die Ängste nicht so schlimm sind.»
Was Thomas Waldburger machte, heisst systemische Therapie. Das ist eine neuere Form der Psychotherapie. Dabei beziehen die Therapeuten auch Angehörige, Freunde oder Arbeitgeber der Patienten mit ein. Denn die systemischen Psychologen gehen davon aus, dass die Probleme einer Person mit den Menschen in ihrem sozialen Umfeld zusammenhängen. Zum Vergleich: Die klassische Psychoanalyse glaubt, dass unbewusste Erfahrungen in der Vergangenheit zu Störungen führen (siehe Tabelle im PDF).
Die systemische Therapeutin Bernadette Ruhwinkel von der Privatklinik Hohenegg sagt: «Man muss nicht jedes Problem bis in die Vergangenheit zurückverfolgen.» Oft bringe es mehr, so Ruhwinkel, wenn der Patient in die Zukunft blicke und sich klar werde, welche Fähigkeiten und Erfahrungen ihm helfen, seine Probleme zu lösen.
Erste Studien belegen den Nutzen bei Depressionen
Bis vor kurzem wusste man nicht, wie gut die systemische Therapie wirkt. Jetzt hat das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen herausgefunden: Die Therapie hilft bei Depressionen mindestens so gut wie die Psychoanalyse. Die Forscher werteten 31 Studien aus. Dabei zeigte sich: Die Methode hilft auch Patienten, die an Schizophrenie, Essstörungen, Drogensucht und anderen Krankheiten leiden.
Die Suche nach einem passenden Therapeuten ist jedoch nicht einfach. Der Winterthurer Psychologe Henri Guttmann erklärt: «Nicht alle, die sich systemische Therapeuten nennen, haben eine entsprechende Ausbildung.» Der Verband Systemis.ch hat auf seiner Webseite eine Liste von Therapeuten, die eine systemische Weiterbildung absolviert haben.
Allerdings ist die systemische Therapie nicht für alle Patienten gleich gut geeignet. Wer keine Bezugspersonen einbeziehen möchte, wählt besser eine andere Methode. Der Zürcher Psychotherapieforscher Christoph Flückiger sagt: «Gut ausgebildete Therapeuten kennen sich in vielen Methoden aus.» Die Psychoanalyse, die Verhaltenstherapie, die Humanistische Gesprächstherapie und die Integrative Therapie wirken ähnlich gut. Das zeigte vor drei Jahren eine grosse Übersichtsstudie des Basler Psychologen Jürgen Barth.
Wichtig für den Erfolg der Therapie ist nicht nur die Methode, sondern auch die Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten. Christoph Thüler von der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen sagt: «Beim ersten Gespräch zeigt sich, ob der Therapeut zum Patienten passt.» Wenn ein Psychologe für ein bestimmtes Problem nicht über die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, müsse er den Patienten an einen Kollegen verweisen.