Am 6. Dezember 2022 ging bei der Migros-Käserei Simmental in Oey BE ein folgenschweres E-Mail ein. Darin frohlockte ein Käsehändler: «Der Anfang ist gemacht.» Er hatte im Auftrag der Migros einen guten Deal abgeschlossen. Der Grossverteiler hatte in Deutschland, dem wichtigsten Exportmarkt für Schweizer Käse, einen neuen Abnehmer gefunden: die süddeutsche Käserei Reissler. Auf einen Schlag verkaufte die Migros 80 Tonnen Käse.
Doch die Freude trübte sich beim Blick auf den Preis. Die Migros verkaufte das Kilo Käse zum Spottpreis von 6,35 Euro. Damit liessen sich nicht einmal die Kosten für die benötigte Milch decken. Geschätzter Verlust: 100'000 Franken.
Möglich machen solche Geschäfte die Schweizer Steuerzahler. Allein für das 80-Tonnen-Geschäft der Migros flossen über 100'000 Franken Subventionen. Der Bund finanziert jeden verkauften Liter Milch, der zu Käse verarbeitet wird, mit 5 Rappen Grundsubventionen, 10 Rappen Verkäsungszulage sowie weiteren 3 Rappen für silofreie Milch. Total finanzierten die Steuerzahler 2021 den Export von Käse mit 157 Millionen Franken. Allein das Käseexportgeschäft der Migros kostet den Bund über 20 Millionen Franken.
Die Migros ist einer der grössten Exporteure von Schweizer Käse. Der Grossverteiler führt jährlich Käse im Wert von 100 Millionen Franken aus. Das zeigen Recherchen von saldo und der deutschen Investigativplattform Correctiv erstmals. Die vielen Subventionen kurbeln die Käseproduktion an. Die Käsekeller sind aktuell voll, der Absatz aber harzt. Deshalb verscherbeln Grossverteiler wie die Migros Schweizer Käse billig im Ausland. Im Kampf um mehr Marktanteile greift die Migros auch zu zweifelhaften Verkaufspraktiken.
Dokumente zeigen: Der deutsche Abnehmer der 80 Tonnen Käse, die Käserei Reissler, bestellte den Käse ohne Kaseinmarke. Das heisst: Auf den Käselaiben durfte nicht wie üblich ersichtlich sein, dass der Käse in der Migros-Käserei Simmental in Oey BE mit Schweizer Milch hergestellt worden war. Die Käserei Reissler wollte den Käse als deutsches Produkt in den Verkauf bringen, die wahre Herkunft also vertuschen. Den Grund dafür wollte die deutsche Käserei auf Anfrage von saldo nicht sagen.
Migros-Verantwortliche wussten von der Herkunftsvertuschung
Die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln ist gesetzliche Pflicht, auch aus Gründen der Lebensmittelsicherheit. saldo liegen Sitzungsprotokolle vor, die zeigen: Migros-Verantwortliche wussten von der beabsichtigten Herkunftsvertuschung ihres Käufers. Auch in der Migros-Käserei in Oey BE gab die Bestellung bei mehreren Verantwortlichen zu reden. Dennoch lieferte die Migros den Käse aus. Die Migros schreibt, die Exporte seien gesetzeskonform gewesen.
Zwielichtige Geschäfte im Käseexportgeschäft der Migros sind nicht neu, wie mehrere Marktkenner bestätigen. 2019 verkaufte die Migros Appenzeller und Gruyère über die Käserei Imlig in Oberriet SG an die deutsche Supermarktkette Rewe. Mehrere Insider berichten saldo, dass der Migros-Käse nur dank drei Schmiergeldzahlungen in den deutschen Detailhandel gekommen sei. So habe etwa ein Einkäufer von Rewe 100'000 Franken in bar erhalten, damit der Migros-Käse in Deutschland verkauft werden kann.
Mehrere Verantwortliche der Migros-Käsefirma Mifroma wussten von den Schmiergeldzahlungen, sagen mehrere Insider. Gegenüber saldo distanziert sich Käsereiinhaber Urs Imlig von diesen unsauberen Geschäften. Rewe schreibt: Der geschilderte Sachverhalt sei unvereinbar mit der Unternehmenspolitik, «wir werden umgehend intere Prüfungen vorantreiben».
Die Migros schreibt: «Die Unregelmässigkeiten bei der Tochtergesellschaft Mifroma in Deutschland» seien Gegenstand einer internen Untersuchung. saldo weiss: Die Migros untersucht unter anderem Schmiergeldzahlungen im Käsehandel bei der eigenen Käsefirma Mifroma seit über vier Monaten.
Migros-Industriechef Armando Santacesaria gab vor einem Monat überraschend seinen Rücktritt bekannt. Er verantwortete auch das Käsegeschäft. In den letzten 12 Monaten hat ein halbes Dutzend Kaderleute aus dem Migros-Käsegeschäft das Unternehmen abrupt verlassen.
Konsumenten in der Schweiz zahlen bis zu fünf Mal mehr
Die Zeche dieser zwielichtigen Geschäfte bezahlen die Schweizer Konsumenten – und das gleich doppelt: einerseits als Steuerzahler mit der unfreiwilligen Subventionierung der verlustreichen Exporte und andererseits im Laden mit teurem Käse. In Deutschland verkauft die Migros Käse für rund 6 Franken pro Kilo an Händler. Die Schweizer Konsumenten zahlen pro Kilo zwischen 20 und 30 Franken.
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