Mittwoch, 9.15 Uhr, auf einem Bauernhof in Bissegg TG: Heidi Hosp vom Kontrolldienst des Schweizer Tierschutzes klingelt an der Tür. Niemand öffnet. Bevor Hosp zum Handy greift, tritt der Bauer aus dem Stall. Er sei noch nicht dazu gekommen, im Schweinestall überall Stroh einzustreuen, entschuldigt er sich. Ein Rind habe ein Bein gebrochen.
Der Schweizer Tierschutz überprüft im Auftrag von Coop mindestens einmal im Jahr, ob die rund 1500 Naturafarm-Höfe die Richtlinien für Schweine, Kälber und Hühner einhalten. Landwirte, die für Naturafarm Fleisch oder Eier produzieren, müssen punkto Tierhaltung Anforderungen erfüllen, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen. Schweine etwa haben Anrecht auf mehr Platz, Auslauf und Streu auf der Liegefläche. So hat ein Schwein von 100 Kilo gemäss Tierschutzverordnung eine Gesamtfläche von 0,9 Quadratmetern zur Verfügung, bei Naturafarm sind es 1,6 Quadratmeter. Für seinen Zusatzaufwand erhält der Bauer von Coop zurzeit einen Preis von Fr. 4.20 pro Kilogramm – 50 Rappen oder 13,5 Prozent mehr als für konventionell produziertes Schweinefleisch.
Heidi Hosp hat dem Bauern ihre Kontrolle nicht angekündigt. Im Stall leben 320 Schweine. Nur in den hinteren Buchten hat es genug frische Einstreu. Vorne stehen die Tiere auf wenigen Halmen. Sonst macht der Stall einen guten Eindruck: Es stinkt kaum und die Schweine sind sauber und lebhaft.
Der Tierarzt hat das Journal nicht unterschrieben
Die Kontrolleurin überprüft, ob genügend Liegeflächen vorhanden sind, ob die Tränken und Futterplätze funktionieren und die Türen nicht verstellt sind. Dann nimmt sie eine Futterprobe, um sie später im Labor unter anderem auf gentechnisch veränderte Organismen untersuchen zu lassen. Zum Schluss wirft sie einen Blick in den Kontrollordner. Darin befindet sich das Behandlungsjournal. Dort muss der Bauer notieren, welchem Tier er welches Medikament verabreicht und wie lange. Der Tierarzt hat das Journal zuletzt im Januar 2017 angeschaut und unterschrieben. Das sollte er aber halbjährlich tun. Heidi Hosp vermerkt die fehlende Unterschrift und die mangelhafte Einstreu.
Bei groben Mängeln wie fehlenden Auslaufmöglichkeiten und Kastrieren ohne Betäubung oder bei einer Häufung von vielen kleinen Verstössen kann Hosp den Hof vorübergehend für das Naturafarm-Label sperren. «Ich habe das schon mehrmals getan», sagt sie. Coop entscheidet dann in Absprache mit dem Schweizer Tierschutz, wie es weitergehen soll. Die Sanktionen reichen von einer Busse über eine temporäre Liefersperre bis zu einem definitiven Ausschluss. Coop sagt, Sanktionen seien die «absolute Ausnahme». Im Jahr 2016 seien nur 3 Prozent der kontrollierten Schweinehaltungsbetriebe sanktioniert worden. Absolute Zahlen will Coop nicht nennen. Ausschlüsse habe es keine gegeben.
Laut Hosp kommt es immer wieder vor, dass sie Kontrollen nicht durchführen kann. Etwa weil ein Bauer beim Besuch nicht auf dem Hof ist. Dennoch brauche es unangekündigte Besuche. Nur so hätte man einen Einblick in den echten Alltag – und nicht eine geschönte Variante. Bei angekündigten Kontrollen können Bauern schummeln, zum Beispiel Medikamente verschwinden lassen.
Coop verkauft nicht nur Schweine-, sondern auch Rindfleisch mit den Bezeichnungen Natura-Beef und Naturafarm. Die Kontrollen führt die unabhängige Inspektionsfirma Beef Control durch. Auch sie setzt auf unangemeldete Kontrollen.
«Unangemeldete Kontrollen sind fürs Tierwohl sinnvoll»
Anders sieht es bei Gütesiegeln wie IP-Suisse oder Bio Suisse aus. Die Kontrollen bei Betrieben mit diesen Labels werden in der Regel vorher angekündigt. Gemäss den Richtlinien von IP-Suisse müssen lediglich mindestens 20 Prozent der jährlichen Kontrollen auf den Höfen unangemeldet sein. IP-Suisse sagt, man fasse aus Effizienz- und Kostengründen verschiedene Kontrollen zusammen. Diese führe man an einem Tag durch und melde sich an. So könne der Bauer die Unterlagen vorbereiten.
Bio Suisse gibt an, jeden der über 6140 Bio-Suisse Betriebe einmal jährlich kontrollieren zu lassen – auf Voranmeldung. Zudem führen die Inspektionsstellen bei 10 Prozent der Bauernhöfe unangekündigte Nachkontrollen durch. Ania Biasio von Bio Suisse argumentiert, dass die Kontrollen alle Betriebsaktivitäten umfassen – also nicht nur die Tierhaltung. Eine solche Gesamtüberprüfung sei mit einer angekündigten Kontrolle «wesentlich fundierter und besser möglich». Sie sagt aber auch: «Rein auf die Tierhaltung bezogen sind unangemeldete Kontrollen durchaus sinnvoll.»
Auch die Migros verkauft Schweizer Fleisch nach den Richtlinien von IP-Suisse und Bio Suisse. Sie laufen dort unter dem Namen Terra Suisse und Migros Bio. Die Migros sagt, sie würde es begrüssen, wenn IP-Suisse und Bio Suisse «einen höheren Anteil» der Kontrollen unangemeldet durchführten. Sogar Proviande, die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, befürwortet «mehr unangemeldete Kontrollen».