Maximal zwei Gläser pro Tag für Männer, ein Glas für Frauen: Das empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit in einer «Orientierungshilfe zum Alkoholkonsum» von 2018 als Obergrenze. So könne man sich vor gesundheitlichen Schäden schützen.
Doch diese Empfehlung ist veraltet. Alkoholforscher Helmut K. Seitz aus Heidelberg (D) sagt, Alkohol habe in keiner Dosis einen Nutzen für die Gesundheit, auch nicht fürs Herz: «Kleine Mengen erhöhen den Blutdruck und führen zu Herzrhythmusstörungen, grosse Mengen schaden den Herzmuskeln.»
Und Marc Marthaler von der Fachstelle Infodrog in Bern sagt: «Alkohol ist ein Nervenund Zellgift, unabhängig von der getrunkenen Menge.»
Frühere Studien zu Alkohol hatten Mängel
Lange galt die Devise, ein Glas Rotwein täglich sei gut fürs Herz. Tatsächlich zeigten frühere Studien, dass Alkohol in kleinen Mengen das Risiko für Herzkrankheiten und Diabetes senkt («Gesundheitstipp» 1/2018). Doch heute sind sich die Fachleute einig: Alkohol ist in keiner Dosis gut für die Gesundheit. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen kritisierte vor kurzem, man habe frühere Studien mangelhaft durchgeführt.
Diese hätten zwar korrekterweise Alkoholkonsumenten mit Abstinenten verglichen. Doch viele Teilnehmer, die sich als abstinent bezeichneten, seien zuvor alkohol- oder tabaksüchtig gewesen. Deshalb starben sie im Durchschnitt früher als gesunde Teilnehmer in der Vergleichsgruppe. Die Forscher hätten dies nicht berücksichtigt und daher die gesundheitlichen Vorteile des Alkoholkonsums zu hoch eingeschätzt.
Alkoholforscher Jürgen Rehm, Mitglied eines Beratergremiums der Weltgesundheitsorganisation und Wissenschafter an einem Forschungsinstitut in Kanada, bestätigt: Ex-Trinker seien in Studien als Abstinente aufgeführt worden. Sie hätten stärker an Krankheiten gelitten als Teilnehmer, die nur wenig tranken. Marc Marthaler verweist zudem darauf, dass Weintrinker oft ein vergleichsweise höheres Einkommen erzielten. Litten sie weniger an Herzkrankheiten, könne das auch daran liegen, dass sie sich gesünder ernähren und entspannter leben.
Eine Studie im «British Medical Journal» bestätigt: Wer Wein kauft, wählt oft mehr gesunde Lebensmittel wie Früchte und Gemüse. Das zeigte eine Auswertung der Einkäufe von dänischen Konsumenten.
Schon kleine Mengen erhöhen das Krebsrisiko
Laut neuen Studien steigern schon kleine Alkoholmengen den Blutdruck und das Risiko für Herzrhythmusstörungen. So ergab vor zwei Jahren eine englische Studie mit 500 000 Teilnehmern: Leute, die jeden Tag zwei Stangen Bier oder einen Achtel Liter Wein tranken, litten im Alter gehäuft an Herzkrankheiten (saldo 7/2022).
Schon länger ist bekannt, dass bereits mässiges Trinken das Risiko für Krebs in Mund, Rachen, Darm, Leber und Brust erhöht (saldo 6/2023). Für die Fachleute steht deshalb fest: Alkohol hat keinen Nutzen für die Gesundheit. Im Gegenteil: Je mehr man trinkt, umso grösser ist das Risiko. Die kanadischen Gesundheitsbehörden gaben deshalb vor einem Jahr neue Empfehlungen heraus. Ihr Fazit: Ein Glas Wein oder eine Stange Bier könne man trotzdem ab und zu geniessen.
Wer sich pro Woche einen bis zwei «standard drinks» genehmige, habe nichts zu befürchten. Ein «standard drink» entspricht in Kanada 3,5 Deziliter Bier oder 1,5 Deziliter Wein. Das Bundesamt für Gesundheit hält auf Anfrage an den Angaben in der erwähnten «Orientierungshilfe» fest. Darin empfehle man nicht, Alkohol zu trinken. Das Papier enthalte lediglich Ratschläge für einen «risikoarmen Konsum»