Lady Gaga, Gwyneth Paltrow und Miley Cyrus – sie alle schwärmen von strafferen Körperformen, jugendlicherem Aussehen und gesteigertem Wohlbefinden. Sie haben Pizza, Pasta und Pfannkuchen von ihren Speiseplänen gestrichen. Denn darin hat es Gluten, und das sei schädlich. Gluten ist das Klebereiweiss, enthalten in Getreide wie Weizen, Roggen, Dinkel, Grünkern, Hafer und Gerste. Bei Menschen mit Zöliakie löst es eine Autoimmunreaktion aus. Das Immunsystem richtet sich gegen den eigenen Darm, entzündet und schädigt ihn.
Doch weder Paltrow, Gaga noch Cyrus leiden an Zöliakie. Trotzdem finden sie viele Nachahmer, die glutenfreie Nahrungsmittel konsumieren. Zur Freude von Produzenten und Grossverteilern: Die Nachfrage nach Produkten mit der Aufschrift «Gluten free» steigt ungebremst. Bei der Migros waren im Jahr 2007 noch gerade 7 solche Produkte erhältlich, heute sind es 35. Coop vertreibt heute über 80 Lebensmittel ohne Gluten.
Werbung verführt auch Gesunde zum Konsum der Produkte
Doch diese Entwicklung kritisieren Experten scharf. Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: «Durch die verstärkte Werbung und das grosse Angebot greifen auch viele gesunde Personen zu glutenfreien Produkten.» Sie würden sich davon einen gesundheitlichen Nutzen versprechen. Gahl betont aber: «Die Kennzeichnung ‹glutenfrei› sagt nicht aus, wie gesund das Produkt ist.» Zudem gebe es keine hinreichenden wissenschaftlichen Nachweise dafür, dass Gesunde von einer Diät ohne Gluten profitierten.
Auch Michael Fried, Magen-Darm-Spezialist am Unispital Zürich, sagt: «Für Leute, die nicht an einer Zöliakie oder einer Gluten-Empfindlichkeit leiden, ist eine solche Diät unnötig und trägt auch nicht zu einer gesunden Lebensweise bei.»
Wer grundlos auf Weizen verzichtet, tun sich keinen Gefallen. Denn im Vollkornweizen steckt viel Gesundes. Antje Gahl: «Getreide und Vollkorn unterstützen die Darmflora.» Laut Gahl sind Weizen, Roggen und Gerste zudem wichtige Lieferanten für B-Vitamine, Folsäure und Mineralstoffe. Auch besteht das Risiko, dass man zu wenig Nahrungsfasern aufnimmt.
Ein Augenschein bei Grossverteilern bestätigt: Die glutenfreien Farmer-Stängel «Crunchy» der Migros enthalten gemäss Deklaration pro 100 Gramm gerade mal 1,5 Gramm Ballaststoffe. In den Stengeln mit Hafer und Weizen hingegen stecken rund fünfmal mehr Nahrungsfasern drin. Die glutenfreien Snacks enthalten zudem 32 Gramm Zucker, das weizenhaltige Pendant hingegen nur einen Zehntel davon.
Es gibt Menschen mit zöliakie-ähnlichen Beschwerden, ohne dass sie an der Krankheit leiden. Fachleute sprechen von Gluten-Empfindlichkeit. Die Wissenschafter sind sich darüber uneinig, was bei solchen Patienten die Verdauungsprobleme auslös. Denn neben Gluten gibt es viele Stoffe, die für die Beschwerden verantwortlich sein können. Diana Studerus von der Schweizerischen Interessengemeinschaft für Zöliakie: «Das können Kohlenhydrate sein wie Milch- und Fruchtzucker oder blähende Substanzen in Zwiebeln und anderen Gemüsen, aber auch in Früchten und im Getreide.»
Für Betroffene ist es oft schwierig herauszufinden, welches Nahrungsmittel sie nicht vertragen. Rasch schiebt man die Schuld dem Weizengluten zu. Studerus rät: «Betroffene sollten gut darauf achten, welche Nahrungsmittel die Beschwerden verursachen.» Dafür braucht es wochenlange akribische Detektivarbeit. Studerus: «Die Patienten sollen Essprotokolle führen und ihre Symptome aufschreiben.» Nur so könne man herausfinden, wie viel von welchen Nahrungsmitteln einem gut tut.
Bei der Therapie ist es wichtig, zwischen Zöliakie, Empfindlichkeit gegenüber Gluten und einer Weizenallergie zu unterscheiden. Studerus betont: «Menschen mit Zöliakie müssen Gluten strikt und lebenslang meiden.» Grund: Die Zotten im Dünndarm verkümmern. Betroffene erhalten nicht mehr genügend Nährstoffe, sie geraten in schwere Mangelzustände. Folgen: brüchige Knochen, Blutarmut, Diabetes, Depressionen, Schilddrüsenkrankheiten und mehr. Die gute Nachricht: Ohne Gluten erholt sich der Darm wieder vollständig.
Bei Verdacht auf Glutenunverträglichkeit rasch zum Arzt
Wer den Verdacht hegt, Gluten nicht zu vertragen, sollte möglichst rasch zum Hausarzt. Dies nicht erst, nachdem man schon mehre-re Wochen lang keine gluten-haltigen Lebensmittel mehr gegessen hat. Laut Diana Studerus würde dies würde die nötigen Bluttests zur Abklärung verfälschen.
Coop schreibt, man gehe gezielt auf die betroffenen Personen zu und kommuniziere mittels Informationsmaterial. Die Migros schreibt, ihre Werbung wende sich primär an Betroffene von Allergien und Unverträglichkeiten. Bei Anfragen weise man Ratsuchende immer darauf hin, den Arzt aufzusuchen, bevor man auf eine Diät ohne Gluten umstelle. Brigitte Jeckelmann
Tipps: Gute Alternativen zu Weizen
Diese Lebensmittel können Weizen ersetzen. Sie enthalten kein Gluten und erst noch viele gesunde Ballaststoffe:
- Linsen
- Hirse
- Reis
- Kichererbsen
- Mais
- Sellerie
- Kartoffeln
- Rüebli
- Randen
- Kastanien
- Nüsse