Der Stadt Winterthur droht nächstes Jahr ein Defizit von 11 Millionen Franken. Auf eine Steuerfusserhöhung will der Stadtrat aber verzichten. Stattdessen sucht er nach anderen Möglichkeiten, das Loch in der Stadtkasse zu verkleinern. Fündig geworden ist er beim Stadtwerk: Es ist im Besitz der Stadt und für Strom, Gas, Wasser, Abwasser, Fernwärme, Kehricht und das Glasfasernetz der Stadt zuständig.
Ein stattlicher Teil der Gewinne fliesst in die Stadtkasse
Das Stadtwerk rentiert. Der Betriebsgewinn im letzten Jahr betrug 19,3 Millionen Franken. Umgerechnet auf die 105 600 Einwohner sind das 183 Franken pro Kopf. Die Reserven des Stadtwerks betragen 185 Millionen. Es ist offensichtlich: Die Tarife und Gebühren sind zu hoch.
Ein Teil der Gewinne geht vom Stadtwerk an die allgemeine Kasse der Stadt: In den letzten Jahren waren es jeweils zwischen 8,4 und 10 Millionen, nächstes Jahr will der Stadtrat diesen Betrag auf 14,4 Millionen Franken erhöhen.
Winterthur ist kein Einzelfall. Auch bei anderen städtischen Werken sind die Einnahmen deutlich höher als die Kosten:
Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) muss gemäss Parlamentsbeschluss zwischen 6 und 9 Prozent des Umsatzes als Gewinn der Stadt abliefern. 2013 waren es 66,3 Millionen Franken. Vom Betriebsgewinn von total 106,3 Millionen Franken erhielt die öffentliche Hand zusätzlich 6,4 Millionen Franken an Steuern. Die restlichen Millionen flossen in die Rückstellungen und Reserven.
Das Unternehmen Energie Wasser Bern (EWB) überwies in den vergangenen Jahren jeweils zwischen 43 und 72,5 Millionen Franken an die Stadt. Die Beträge setzten sich nicht nur aus einem ordentlichen Gewinnanteil zusammen, sondern auch aus ausserordentlichen Reserveausschüttungen. Um Schulden zu begleichen, zapfte Bern die übervollen EWB-Reserven an. Ab diesem Jahr beträgt die Gewinnablieferung jeweils fix 25 Millionen Franken.
Die Energie Wasser Luzern Holding AG (EWL) gehört zu 100 Prozent der Stadt Luzern. Vom letztjährigen Gewinn von 29,4 Millionen Franken erhielt die Stadt eine Dividende von 15,5 Millionen. Dazu kommen 1,5 Millionen Steuereinnahmen und 3,5 Millionen Konzessionsabgaben für die Nutzung des öffentlichen Grundes – total 20,5 Millionen Franken.
Die Industriellen Werke Basel (IWB) schlossen letztes Jahr mit einem Gewinn von 91,3 Millionen ab. Sie überwiesen 50 Millionen an die Kasse von Basel-Stadt.
Auch kleinere Städte benutzen ihre Werke als Geldlieferanten: Die selbständige Gemeindeunternehmung Energie Service Biel zum Beispiel brachte der Stadt im letzten Jahr eine Dividende und Konzessionsabgaben von total 9,85 Millionen Franken ein. Selbst in der Stadt Wil SG mit 23 000 Einwohnern haben die Technischen Betriebe 2013 bei einem Gewinn von 7,8 Millionen Franken der Stadtkasse 4,4 Millionen gutschreiben können.
Die Beispiele zeigen: Die Konsumenten zahlen nicht nur für bezogene Leistungen und eine angemessene Reservebildung, sondern finanzieren mit den Gebühren auch stattliche Beiträge ans allgemeine Budget der Städte.
Für die Gemeinden ist es einfacher, zusätzliche Gelder via überhöhte Tarife und Gebühren zu holen statt über Steuererhöhungen. Doch das ist laut Alain Griffel rechtlich zweifelhaft. Der Professor für Verwaltungsrecht an der Uni Zürich betont, dass Gewinne aus Gebühren, welche die Vollkosten für den betreffenden Verwaltungszweig überschreiten und in die allgemeine Kasse fliessen, Steuercharakter haben. «Gemeinden und Städte haben aber gar nicht die Kompetenz, neue Steuern zu erfinden», sagt Griffel.
Zudem: Überhöhte Gebühren sind unsozial. Denn eine kinderreiche Familie verursacht mehr Abfall und braucht mehr Wasser und Energie als ein alleinstehender Millionär. Entsprechend höher sind für die Familie die Gebühren.
Alle angefragten Städte stellen in Abrede, ihren Einwohnern zu hohe Tarife und Gebühren zu verrechnen. Die grosszügige Gewinnabschöpfung rechtfertigen sie mit Argumenten wie dem unternehmerischen Risiko, das sie eingehen würden, oder der Nutzung des öffentlichen Grunds. Nur: Monopolbetriebe der Grundversorgung haben kein unternehmerisches Risiko. Jeder Haushalt braucht Wasser und Energie, ist an das Abwassersystem angeschlossen und auf die Kehrichtentsorgung angewiesen.
Der Preisüberwacher sagt, dass Tarife und Gebühren die Kosten decken sollen. Gewinnmargen von über 4 Prozent hält er für überhöht. Kommt er zum Schluss, dass eine Stadt oder Gemeinde zu hohe Gebühren verlangt, empfiehlt er eine Preissenkung. Doch das ist rechtlich nicht bindend.
Zürich: Gebührenerhöhungen vors Volk?
Auch der Hauseigentümerverband und der Gewerbeverband des Kantons Zürich ärgern sich über den steten Anstieg der Gebühren. Sie haben deshalb eine Volksinitiative lanciert, die zum Ziel hat, dass die Stimmbürger bei der Höhe der Gebühren das letzte Wort haben.
Die Gebühren seien im Kanton Zürich innert zehn Jahren um 70 Prozent gestiegen, weil für eine Erhöhung in der Regel ein Beschluss der Regierung oder Verwaltung genügt habe, kritisiert Gewerbeverbands-Geschäftsleiter Thomas Hess. Das Kantonsparlament hat der Initiative bereits zugestimmt. Das Zürcher Stimmvolk entscheidet voraussichtlich im nächsten Frühling.