Sie kennt sich aus mit Brotlaiben, Blechen und Backtemperaturen. Der Gerichtssaal hingegen ist nicht ihre Welt. Die 20-Jährige räuspert sich verlegen, als der Einzelrichter sie auffordert, ihre Klage zu begründen. Sie hebt an, um die Geldforderung zu erläutern. Ihr Auftritt ist zurückhaltend. Einen Anwalt hat sie nicht. Sie ist in Begleitung ihrer Mutter vor Gericht erschienen. Es scheint, als tue es der jungen Frau leid, dass sie ihren ehemaligen Arbeitgeber einklagen musste.
Es geht um die fehlende Schlussabrechnung bei ihrem Austritt. Die junge Frau hatte die Stelle beim Bäcker gekündigt, um in einen Betrieb zu wechseln, der näher bei ihrem Wohnort liegt. Nach dem letzten Arbeitstag hörte sie nichts mehr vom Ex-Chef. Er sitzt mit unbeteiligter Miene im Gerichtssaal. Die Bäckerin erhielt keine Schlussabrechnung über den Lohn, keinen Lohnausweis und auch kein Arbeitszeugnis.
Sie rief an, ging vorbei und bat den Ex-Chef, die Unterlagen auszufertigen. Er begründete die ausstehenden Papiere damit, die Buchhaltung sei in Verzug. Schliesslich einigte man sich darauf, dass er alles bis zu einem bestimmten Termin – zweieinhalb Monate nach dem letzten Arbeitstag – zustellen werde.
Insgesamt liegen vier verschiedene Abrechnungen vor
Das Datum verstrich, ohne dass die versprochene Post eintraf. Da platzte der Bäckerin der Kragen. Sie reichte eine Betreibung über gut 2036 Franken gegen den ehemaligen Arbeitgeber ein. So viel Lohn, hatte sie errechnet, war gemäss den Stundenblättern noch offen.
Der Bäcker schaltete auf stur. Er bestritt die Forderung und legte eine Abrechnung vor. Diese ergab eine Restzahlung von nur rund 600 Franken. Doch die Abrechnung war voller Fehler. Er besserte nach und überwies neben den 600 Franken weitere rund 400 Franken.
So ging es hin und her bis zur Gerichtsverhandlung. «Das ist doch sehr speziell», wundert sich der Gerichtspräsident: «Wir haben insgesamt vier Versionen der Lohnabrechnung, und jedes Mal fiel sie etwas mehr zugunsten der Klägerin aus.» Der Bäcker meint, er finde das «schon auch speziell»: «Ich ging einfach zur Buchhaltung, und dann habe ich die neue Version erhalten.»
Hauptdifferenz ist die Nachtzulage. Die Bäckerin erhielt zusätzlich zum Lohn von 3900 Franken jeden Monat noch 300 Franken als Entschädigung für den Arbeitsbeginn um 2 Uhr früh. Frühere Lohnabrechnungen bezeichnen die Nachtzulage als «Pauschale», der Lohnausweis schlägt sie zum Bruttolohn. «Ich bin der Meinung, dass mir die Pauschale zusteht, ich hab ja auch schon Steuern darauf bezahlt», sagt die Klägerin. Doch der Bäcker will nichts mehr davon wissen.
Er spricht von einer Akontozahlung, die genau abgerechnet werden müsse, und will die Nachtzulage folglich für Ferien- oder Unfalltage nicht auszahlen. Ganz anders sieht er es beim Abzug für die Verpflegung am Arbeitsort, die ebenfalls als «Pauschale» ausgewiesen wurde. Diesen Betrag hat er stets abgezogen – auch während der Ferien und als die Bäckerin wegen eines Snowboardunfalls zwei Wochen arbeitsunfähig war.
Dem Richter fallen weitere Ungereimtheiten auf. Während fünf Tagen war die Angestellte nach dem Unfall laut Arzt zu 50 Prozent arbeitsunfähig, doch sie arbeitete fast 100 Prozent. Zugleich kassierte der Bäcker von der Versicherung Unfalltaggelder für eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit. Das stellt der Beklagte in Abrede. «Sind Sie sicher?», hakt der Richter nach und verweist auf eine schriftliche Abrechnung der Versicherung in den Akten. Der Bäcker windet sich. «Das kann ich mir nicht erklären, da müsste ich die Buchhaltung fragen.»
Der Beklagte verspricht, das Geld innert drei Wochen zu überweisen
Nach einer Beratungspause schlägt das Gericht den Parteien vor, die Sache mit einem Vergleich beizulegen. Der Bäcker soll seiner ehemaligen Angestellten 1000 Franken Lohn nachzahlen plus 300 Franken Umtriebsentschädigung. Das entspricht fast der geforderten Summe abzüglich der geleisteten Teilzahlungen.
Die Klägerin willigt «dem Frieden zuliebe» umgehend ein. Da schlägt auch der Bäcker ein: «Das zahle ich.» Innert drei Wochen sei das Geld überwiesen, verspricht er. Bleibt zu hoffen, dass «die Buchhaltung» das auch umsetzt.
Austritt: Anrecht auf schriftliche Lohnabrechnung
Am letzten Tag eines Arbeitsverhältnisses werden alle Forderungen von Angestellten fällig: Lohnanspruch, Anteil 13. Monatslohn, Spesen – aber auch das Anrecht auf ein Arbeitszeugnis. Wie während der ganzen Vertragsdauer hat der Betrieb eine schriftliche Lohnabrechnung auszuhändigen. Sie muss den vereinbarten Bruttolohn enthalten, alle Zulagen, Überstundenentschädigungen, Spesen und Provisionen sowie die Sozialabzüge.
Zahlt ein Betrieb die geschuldeten Leistungen nicht bis zum letzten Tag des Arbeitsverhältnisses aus, kommt er in Verzug: Angestellte haben danach Anspruch auf 5 Prozent Zins auf den offenen Betrag. Zahlt der Arbeitgeber trotz Mahnung nicht, kann man bei der Schlichtungsbehörde im Bezirk des Arbeitsplatzes Klage einreichen. Bis zu einem Streitwert von 30 000 Franken ist das Verfahren kostenlos.