Seit dem Jahr 2000 lehrt und forscht Thomas Rudolph als Professor für Marketing und Internationales Handelsmanagement an der Uni St. Gallen. In den Medien ist er ein gefragter Experte beim Detailhandel. Allein in den vergangenen vier Jahren taucht sein Name 59 Mal in verschiedenen Zeitungen auf. Zitiert wird er nur als Marketing Professor oder Handelsexperte.
Was kein Journalist erwähnt:
Rudolph ist eng verbandelt mit der Migros. Seit 2003 sitzt er im Verwaltungsrat des Migros-Genossenschaftsbundes. Und seit 2009 ist Rudolph zudem Direktor des Forschungszentrums für Handelsmanagement an der Uni St. Gallen. Dazu gehört auch der Gottlieb-Duttweiler-Lehrstuhl für Internationales Handelsmanagement. Er ist nach dem Gründer der Migros benannt. Sie finanziert den Lehrstuhl jährlich mit 400 000 Franken.
Ein paar Beispiele für die Auftritte Rudolphs in den Medien:
Im «Blick» äusserte er sich in den vergangenen Monaten mehrmals dazu, dass die deutschen Discounter Aldi und Lidl die beiden Grossisten Coop und Migros unter Druck setzten.
Im «Tages-Anzeiger» kommentierte Rudolph mehrmals verständnisvoll die steigenden Glace-Preise bei der Migros und ihrer Tochter Denner.
«Handelszeitung» und «Bilanz» publizierten kürzlich ein Interview und einen Aufsatz von Rudolph zur Bedrohung des Schweizer Detailhandels durch Amazon.
In keinem dieser Beiträge war die Migros-Nähe von Rudolph ein Thema. Genauso wenig im «Migros-Magazin». Dort gab Rudolph kürzlich ein Interview zum ersten Selbstbedienungsladen Europas – eröffnet vor 70 Jahren von der Migros. Eine Lobeshymne auf den Detailhändler: «Mit der Selbstbedienung wurde die Migros noch effizienter und erfolgreicher.»
Vor anderthalb Jahren veröffentlichte Thomas Rudolph eine Studie zum Thema Einkaufstourismus. Darin sprach er sich – wie verschiedene Politiker – für eine Senkung der Wertfreigrenze von 300 auf 50 Franken aus. Das heisst, wer ennet der Grenze günstig einkauft, müsste bereits ab einem Warenwert von 50 Franken Mehrwertsteuer zahlen. Die Folge: Etwa ein Drittel weniger Auslandseinkäufe. Genau das, was die Migros möchte.
Die Sendung «10 vor 10» im Schweizer Fernsehen nahm die Studie auf. Und in einem Interview im «Tages-Anzeiger» machte Rudolph weiter Stimmung gegen Auslandeinkäufe: «Das schlechte Gewissen der Schweizer hat signifikant zugenommen.» Immerhin: «10 vor 10» machte das Eigeninteresse von Thomas Rudolph als Migros-Verwaltungsrat transparent – als einziges Medium.
Migros und Rudolph sehen kein Problem
In den Grundsätzen zur «guten Unternehmensführung» verpflichtet sich der Migros-Verwaltungsrat zu «grösstmöglicher Transparenz und offener Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit». Kann davon im Fall Rudolph die Rede sein?
Die Migros sagt, das Verwaltungsratsmandat sei im Geschäftsbericht ausgewiesen. Das Budget des Lehrstuhls sei viel höher als der Beitrag der Migros. Deshalb bestehe keine Abhängigkeit. Auch Thomas Rudolph weist darauf hin, dass seine Tätigkeit bei der Migros «vielerorts publiziert und öffentlich einsehbar» sei. Er nehme bewusst keine Stellung zur Migros, sondern nur zu allgemeinen Handelsthemen. Zudem sei sein Einfluss auf die Medien-Berichterstattung begrenzt. Wie er vorgestellt werde, könne er nur begrenzt beeinflussen.