«Die Alten belasten den Staat immer stärker» oder: «Alterung belastet Staatsfinanzen». Mit solchen und ähnlichen Schlagzeilen schreckten die Medien im Frühling die Bevölkerung auf. Der Anlass: Eine neue Studie des Bundes mit dem sperrigen Namen «Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz». Darin warnen die Experten der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) vor einem riesigen Schuldenberg von Bund, Kantonen, Gemeinden und Sozialwerken im Jahr 2050.
Die Annahmen des Bundes: Kinderreiche Jahrgänge von 1946 bis 1964 gehen in den nächsten 20 Jahren in Pension, die Lebenserwartung steigt weiter an und die Geburtenrate bleibt tief. Damit werde sich der Altersaufbau der Bevölkerung so drastisch ändern, dass 2050 auf einen über 65-Jährigen nur noch zwei Erwerbstätige kommen. Heute beträgt das Verhältnis 4 zu 1.
Ohne Massnahmen, so die Folgerung aus den EFV-Berechnungen, führe die Alterung der Gesellschaft zu einer starken Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte. Fazit: «Je früher Massnahmen ergriffen werden, desto geringer fallen die notwendigen Korrekturen aus.»
Wirtschaftsverband will Abbau bei den Sozialversicherungen
Welche Massnahmen nötig sind, darüber schweigt sich der Bericht aus. Aber offensichtlich ist ein Leistungsabbau respektive Sparübungen bei AHV, IV, Pensionskassen und im Gesundheitswesen gemeint. So sieht der Wirtschaftsverband Economiesuisse in der Studie einen klaren Auftrag für die Reform der Sozialversicherungen – sprich einen Abbau der Leistungen. Kein Wunder, versteht der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) den Bericht als Angriff auf die Sozialwerke. «Es gibt kein Argument für ein so pessimistisches Szenario», sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart.
Doch Pessimismus in Sachen AHV scheint beim Bund Programm zu sein. Lampart erinnert daran, dass sich der Bund bei Prognosen für die jährliche AHV-Rechnung seit langem massiv verschätzt.
Beispiele:
- Für 1991 ging der Bundesrat von einem Plus von gut 1,2 Milliarden Franken aus. Tatsächlich resultierte ein Überschuss von über 2,2 Milliarden.
- In der Botschaft zur 11. AHV-Revision im Jahr 2000 ging der Bundesrat davon aus, dass die AHV 2005 und 2006 Defizite von etwa 1,5 Milliarden Franken schreiben würde. Die Realität sah anders aus: 2005 schloss die AHV mit einem Überschuss von 2,5 Milliarden, 2006 waren es sogar 2,7 Milliarden.
Selbst die überarbeiteten Szenarien von 2005 waren zu pessimistisch: Die prognostizierten 770 Millionen Franken Überschuss für 2006 waren über 1,5 Milliarden von der Realität entfernt. Und die AHV-Rechnung 2007 schloss mit einem Plus von 1,5 Milliarden ab. Prognostiziert worden waren etwa 188 Millionen Überschuss.
Zu viele Unbekannte für aussagekräftige Prognosen
Da der Bund schon bei Kurzzeitprognosen derart daneben liegt, hält Lampart nichts davon, bis 2050 zu schauen: «Man liegt sicher falsch.» Neben bekannten Fakten gebe es viel Unbekanntes. So kenne man etwa die Zahl der Rentner im Jahr 2030 ziemlich genau: Es sind die Erwerbstätigen von heute. Unbekannt ist aber die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2030. Und unbekannt ist auch die Lebenserwartung der dannzumaligen Rentner. Zudem könne niemand voraussagen, wie sich bis dann Konjunktur, Produktivität, die Löhne und Einwanderung entwickeln.
Gerade die Ergebnisse der letzten 20 Jahre zeigen klar, wie sehr die AHV-Rechnung von der Konjunktur abhängig ist: Läuft sie gut, macht die AHV Überschüsse. SGB-Chefökonom Lampart rät deshalb, auf Sicht zu manövrieren: «Massnahmen können immer noch dann ergriffen werden, wenn die Finanzierungslücke eintrifft.»
Sozialversicherungen: Fast alle Kassen sind prall gefüllt
Die Einnahmen steigen viel schneller als die Ausgaben. Das zeigen neuste Zahlen aus der Sozialversicherungsstatistik 2007. Die Gesamteinnahmen lagen im 2005 bei 132,1 Milliarden Franken, die Ausgaben bei 114,6 Millionen – ein Plus von 17,5 Milliarden.
Kein Wunder, geht es fast allen Sparten blendend. Ausnahmen sind die Arbeitslosenversicherung mit einem kumulierten Verlust bis Ende 2006 von 3,7 Milliarden Franken und die Invalidenversicherung mit 11,4 Milliarden Schulden im Dezember 2007.
Andererseits beträgt das Kapital allein in der obligatorischen Unfallversicherung 35,8 Milliarden Franken (Stand Ende 2005), bei der EO sind es 2,1 Milliarden (2007).
Im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherungen betragen die Reserven 9,6 Milliarden (2006), bei der AHV 40,6 Milliarden (2007). Und das im Rahmen des obligatorischen Teils der Pensionskassen gesparte Kapital betrug Ende 2005 volle 545 Milliarden.