Depressionen: Medikamente wechseln bringt nichts
Es ist unter Ärzten gängige Praxis: Nützt ein erstes Antidepressivum nichts, verschreiben sie ein anderes. Jetzt kritisieren Experten: Das bringt keine Besserung. Zudem gibt es Alternativen.
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saldo 02/2012
28.01.2012
Letzte Aktualisierung:
31.01.2012
Christian Egg
Antidepressiva helfen längst nicht allen Patienten. Laut dem Psychiater Tom Bschor, Chefarzt an der Schlosspark-Klinik in Berlin, spricht bloss knapp jeder zweite Patient auf die Pillen an. Wenn ein Medikament nicht wirkt, versuchen es die meisten Ärzte mit einem Wechsel auf ein anderes Antidepressivum. Auch viele Lehrbücher empfehlen dieses Vorgehen.
Doch jetzt wird klar: Ein solcher Medikamentenwechsel bringt nichts. Tom Bschor hat die entsprechenden Untersuchungen...
Antidepressiva helfen längst nicht allen Patienten. Laut dem Psychiater Tom Bschor, Chefarzt an der Schlosspark-Klinik in Berlin, spricht bloss knapp jeder zweite Patient auf die Pillen an. Wenn ein Medikament nicht wirkt, versuchen es die meisten Ärzte mit einem Wechsel auf ein anderes Antidepressivum. Auch viele Lehrbücher empfehlen dieses Vorgehen.
Doch jetzt wird klar: Ein solcher Medikamentenwechsel bringt nichts. Tom Bschor hat die entsprechenden Untersuchungen eingehend studiert. Es gibt lediglich drei Studien dazu. In einem Fachartikel zieht Bschor eine ernüchternde Bilanz: «In keiner der Studien brachte der Wechsel des Antidepressivums einen entscheidenden Vorteil.»
Lithium: Verbessert die Wirkung von Antidepressiva
Eine kürzlich erschienene belgische Studie zeigt ein noch klareres Ergebnis: Wer das Antidepressivum wechselte, hatte gar eine kleinere Chance, aus der Depression zu kommen. Für Tom Bschor ist klar, warum ein Wechsel meist nichts bringt. Zwar gibt es verschiedene Klassen von Antidepressiva. Aber sie funktionieren alle nach demselben Prinzip: Sie erhöhen die Konzentration der Botenstoffe Serotonin oder Noradrenalin im Hirn. «Medikamente mit gänzlich anderen Wirkmechanismen gibt es nicht», sagt Bschor.
Seine Forderung an die Kollegen ist deshalb deutlich: «Wenn ein Patient auf ein Medikament nicht anspricht, sollten Ärzte aufhören, einfallslos immer neue Antidepressiva aneinanderzureihen.» Es gebe Alternativen, die besser wirken.
Eine davon ist Lithium. Ärzte setzen das Leichtmetall in Pillen bereits seit den 1950er-Jahren gegen Depressionen sowie gegen manische Zustände ein. «Deshalb ist sein Nutzen sehr gut belegt», sagt der Zürcher Psychiater Andres Howald. Heute verschreiben Mediziner Lithium oft zusammen mit einem Antidepressivum. Das verstärkt die Wirkung des Medikaments.
So auch bei Sonja Bühlmann aus Buchs AG. Seit ihrer Jugend leidet sie an Depressionen. Immer wieder hatte sie zudem manische Phasen und Wahnvorstellungen. Sie schluckt täglich Medikamente gegen Depressionen und Psychosen und nimmt Lithium – seit über zwanzig Jahren. Damit lebt sie gut. Sie näht Kleider für ihre Enkelin, manchmal auch für sich: «Ich liebe Handarbeiten. Da sieht man, was man geleistet hat.» Aber ohne Lithium und die anderen Medikamente würde es nicht gehen, sagt sie.
Lithium hat jedoch einen Nachteil: Schlucken Patienten zu viel davon, kann dies Krämpfe auslösen oder die Nieren schädigen. Deshalb empfehlen Fachleute, regelmässig den Lithiumgehalt im Blut messen zu lassen. Auch Sonja Bühlmann macht das. Anfangs ging sie jede Woche zum Arzt, heute noch einmal im Monat. «Er nimmt mir Blut ab, und meist sind die Werte gut. Das ist Routine.»
Johanniskraut: Nützlich bei leichten Depressionen
Neben Lithium setzen Ärzte manchmal auch andere Medikamente gegen Depressionen ein, beispielsweise Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine. Diese Mittel wirken zwar nicht direkt gegen die Depression, können jedoch Ängste und Schlafstörungen lindern. Wenn eine Depression wahnhafte Züge aufweist, kann auch ein Neuroleptikum helfen.
Wissenschaftlich belegt ist zudem der Nutzen von Johanniskraut – zumindest bei leichten und mittelschweren Depressionen. Die Pillen sind ohne Rezept erhältlich. Allerdings kann Johanniskraut andere Medikamente beeinflussen. Patienten sollten sich deshalb in der Apotheke beraten lassen.
Optimal ist die Kombination mit einer Psychotherapie
Einen anderen Weg fand Monika Schilling (Name geändert). Als sie letztes Jahr immer tiefer in eine Depression rutschte, begann sie eine intensive Psychotherapie. Zuerst ging sie zweimal pro Woche hin, später einmal. Anfangs habe sie auch Antidepressiva gebraucht, sagt die 33-Jährige: «Sie halfen mir vor allem, wieder schlafen zu können.»
Nach drei, vier Monaten ging es langsam aufwärts: «Ich war etwas zur Ruhe gekommen und überzeugt, dass ich es auch ohne Medikamente aus der Depression schaffe.» Ihr Arzt riet ihr zwar, die Pillen noch weiter zu schlucken, liess sich aber überreden. Und es klappte: Einige Monate später fühlte Monika Schilling sich wieder ganz gesund. Sie sagt: «Letztlich war es die Psychotherapie, die mir aus der Depression geholfen hat.»
Das bestätigen auch Fachleute. Peter Bäurle, stellvertretender ärztlicher Direktor der psychiatrisch-psychotherapeutischen Privatklinik Aadorf (TG), empfiehlt als «optimale Therapie» die Kombination von Medikamenten und Psychotherapie: «Antidepressiva alleine lösen das Problem nicht. Das kann nur eine Kombination mit Psychotherapie.»
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