Andreas K. aus Baden-Dättwil AG weilte über Ostern im Skiort Valbella GR. Am Karfreitag machte er sich um 11.14 Uhr mit dem Auto auf den Weg. Über Mittag war er in Chur. Um 14 Uhr traf er in Valbella ein. Er hielt sich auf der Alp Pradaschier, dem Stätzerhorn sowie im Skigebiet von Arosa auf. Am Ostermontag kurz nach 9 Uhr machte er sich auf den Heimweg. Nach einem Halt in Maienfeld GR war er um 12.49 Uhr wieder zu Hause. Während der Ostertage führte Andreas K. 15 Telefongespräche mit einer Dauer von total 22 Minuten und 13 Sekunden. Zudem erhielt er vier SMS-Nachrichten und verschickte eine.
Daten müssen innert 30 Tagen beim Kunden eintreffen
Diese Informationen lassen sich aus den Verbindungs- und Standortdaten des Smartphones von Andreas K. gewinnen. Der Aargauer hatte die Mobilfunkdatensätze bei der Swisscom angefordert. Das eidgenössische Überwachungsgesetz verpflichtet die Telecomfirmen zu speichern, wer wann und wo mit wem telefoniert. Ebenso, wer wann wem SMS schreibt. Und wer wann, wo, wie lange und mit welchen IP-Adressen surft. Diese Daten müssen sie sechs Monate lang aufbewahren und den Strafverfolgungsbehörden auf Antrag zur Verfügung stellen. Das gilt nicht nur beim Mobilfunk, sondern auch fürs Festnetz inklusive E-Mails und Internet.
Anfang März lehnte das Bundesgericht eine Beschwerde gegen die Speicherung dieser sogenannten Vorratsdaten der gesamten Bevölkerung ab. Die Richter halten den Eingriff in die Grundrechte für «verhältnismässig». Immerhin sagten sie im Urteil auch: Schweizer Bürger haben ein Recht zu erfahren, welche Daten über sie gespeichert werden (siehe Unten).
Neben Andreas K. verlangten am 12. April drei weitere Personen im Auftrag von saldo Auskunft über ihre Handydaten. Zwei Gesuche betrafen die Swisscom, je eines Sunrise und Salt. Laut Gesetz haben sie 30 Tage Zeit, die Daten zu liefern. Nur die Swisscom lieferte fristgerecht. Sunrise und Salt vertrösteten auf später.
Vorratsspeicherung in diesem Umfang ist in der EU verboten
Bei Andreas K. und Daniel F. aus Zürich umfasst die Tabelle der Internetaktivitäten je über 5500 Einträge. Pikant: Auch wenn ein Kunde nicht surft, wird der Standort der nächsten Antenne und der Zeitpunkt des Aufenthalts aufgezeichnet. Smartphones nehmen automatisch immer wieder Kontakt zum nächsten Sendemast auf – etwa um die Verbindung zu kontrollieren oder um Apps mit aktuellen Daten zu versorgen.
Die Telefoniedaten sind in separaten Tabellen aufgeführt. Bei Andreas K. sind es 677 Einträge, bei Daniel F. 550. Swisscom unterscheidet zwischen ein- und ausgehenden Anrufen samt den zugehörigen Rufnummern. Auch die SMS-Kommunikation ist in den Tabellen ersichtlich. Die Antennenstandorte tauchen hier nur auf, wenn eine Kommunikation stattgefunden hat. All diese Angaben gelten nicht für die Kommunikation im Ausland: So sind in der Tabelle zu einem Roaming-Telefonat in Österreich von Andreas K. weder Rufnummern noch Standortdaten zu finden. Grund: In der EU ist eine so umfassende Speicherung von Daten auf Vorrat nicht erlaubt.
Die von der Swisscom gelieferten Standortdaten sind nicht so genau wie jene, die die Strafverfolgungsbehörden erhalten. Das Unternehmen verweigert den Kunden eine detailliertere Auskunft mit Verweis auf das Geschäftsgeheimnis. Laut Nils Güggi, Sprecher des zuständigen Überwachungsdienstes des Bundes, können die Strafverfolgungsbehörden mit den erhaltenen genaueren Daten präziser bestimmen, wo sich eine Person mit ihrem Handy aufhielt.
Auch zu den gespeicherten IP-Adressen erfuhren die beiden Swisscom-Kunden nicht die ganze Wahrheit: Sie erhielten nur die IP-Adressen, die im Swisscom-Netzwerk gelten, nicht aber jene, mit denen sie im Internet unterwegs waren. Brisant: Aus technischen Gründen speichern manche Telecomanbieter nicht nur die externe IP-Adresse ab, sondern auch die Zieladresse, also den angesteuerten Webserver. Damit können sie den Datenverkehr eindeutig einem Nutzer zuordnen. Quasi als Nebeneffekt wird damit aber auch das ganze Surfverhalten der Kunden erfasst und abgespeichert. Sunrise und Salt geben das zu.
Anders Swisscom: Sprecherin Sabrina Hubacher behauptet, Swisscom verwende ein Verfahren, das ohne Speicherung der Zieladresse auskomme. Weitere Einsicht in die Datenbank will Swisscom aber nicht gewähren. Laut Hubacher lassen sich einzelne Personen nicht aus der Datenbank herausfiltern. Insofern handle es sich nicht um eine Datensammlung gemäss Datenschutzgesetz. Und somit bestehe gegenüber den Kunden auch keine Auskunftspflicht.
In zwei Minuten von Zürich nach Bern
Erik Schönenberger, Geschäftsführer der Digitalen Gesellschaft, kritisiert: «Was man heute erhält, ist nur die Spitze des Eisbergs.» Kunden hätten das Recht auf alle Daten. Auch das Bundesgericht hielt fest: «Die Fernmeldedienstanbieter müssen bei Auskunftsgesuchen alle Angaben, die sich auf die gesuchstellende Person beziehen beziehungsweise ihr zugeordnet werden können, herausgeben.»
Die von der Swisscom gelieferten Vorratsdaten sind nicht nur unvollständig, sondern auch fehlerhaft. Beispiel: Daniel F. soll sich am 27. Oktober um 17.29 Uhr an der Hottingerstrasse in Zürich aufgehalten haben. Zwei Minuten später war er am Helvetiaplatz in Bern. Swisscom-Sprecherin Hubacher sagt dazu: «Für eine richtige Interpretation ist ein gewisses technisches Know-how erforderlich.» Man muss allerdings kein Experte sein, um zu wissen, dass es kein Verkehrsmittel gibt, mit dem man sich in zwei Minuten von Zürich nach Bern katapultieren kann.
Musterbrief für die Datenauskunft
Wer wissen möchte, welche Daten ein Telecomunternehmen gespeichert hat, kann ein Datenauskunftsbegehren stellen. Eine Mustervorlage finden Sie unter folgendem Link: Saldo.ch/datenauskunft
Wer Handy, Festnetz und Internet nicht vom selben Anbieter bezieht, muss jedem einen Brief schicken. Die Verordnung zum Datenschutzgesetz sieht eine Kostenbeteiligung bis 300 Franken vor – jedoch nur in Ausnahmefällen «mit einem besonders grossen Arbeitsaufwand».