Regelmässig landet im Briefkasten persönlich adressierte Werbung. Im November etwa haben Bettelbriefe von Hilfswerken Hochsaison. Die Adressen stammen in der Regel von Unternehmen, welche die Adressen der Schweizer Haushalte sammeln und diese für solche Versände vermieten.
Eine dieser Firmen ist die Künzler Bachmann Directmarketing AG (KB Direct) in St. Gallen. «Sie ist neben der Post (Adresspflege, Aktualisierung) und der AZ Direct einer der grossen Adressdienstleister». Zu ihren Kunden zählen Grossverteiler, Kreditkartenfirmen, Versandhändler, Hilfswerke und Verlage – darunter auch der saldo-Verlag. Laut Marketingchef Roger Muffler umfasst ihre Datenbank über sechs Millionen Personen aus der Schweiz. saldo wollte wissen, welche Daten der Familie des Redaktors gespeichert sind und woher die Daten stammen.
Haushalt wird einer sozialen Gruppe zugeordnet
Der Blick in den Computer vor Ort zeigt: Über den saldo-Redaktor sind Adresse, Beruf, Alter, Zivilstand und Haushaltgrösse gespeichert. Der Adresshändler kennt sogar das Geburtsdatum der Kinder. Daneben weiss KB Direct, wo der saldo-Redaktor früher wohnte. Grund: Die Post verkauft Adressänderungen, wenn jemand beim Umzug dazu sein Einverständnis gegeben hat. Der «Adressdienstleister», wie sich KB Direct bezeichnet, ergänzt diese Angaben mit Informationen zur Wohngemeinde, dem Quartier und dem Haustyp.
Daraus bildet die Firma verschiedene Kategorien. Vier bis fünf nebeneinanderliegende Haushalte fasst sie zu einer «Mikrozelle» zusammen und ordnet diese einer von zehn sozialen Gruppen zu. In der KB-Direct-Datenbank sind 12 Prozent der Bevölkerung als «Postmaterielle» verzeichnet. Sie gehören dem oberen Mittelstand an, sind gebildet, linksliberal und setzen sich für Nachhaltigkeit ein. In diese Kategorie ist auch der saldo-Redaktor eingeteilt. Weitere soziale Milieus sind etwa die «Arrivierten», die «bürgerliche Mitte» oder die «genügsamen Traditionellen».
Das Einkommen wurde falsch geschätzt
Die erfassten Personen teilt KB Direct in vier Kaufkraftklassen ein: Die jeweils 15 Prozent, die am wenigsten oder am meisten verdienen, gelangen in die oberste oder tiefste Kaufkraftklasse, die restlichen 70 Prozent in die zwei Kaufkraftklassen dazwischen.
Zudem versucht KB Direct aufgrund von Lohn-Tabellen des Bundesamtes für Statistik das Haushaltseinkommen zu berechnen. Im Fall des saldo-Redaktors liegt das Brutto-Haushaltseinkommen angeblich bei 13 334 Franken pro Monat. Tatsächlich liegt es aber deutlich darunter. Solche Fehler können dann dazu führen, dass etwa eine Sozialhilfeempfängerin Bettelbriefe von Hilfswerken bekommt – auch wenn sie selbst finanziell kaum über die Runden kommt.
«Viele unserer Daten basieren auf Annahmen und Hochrechnungen», räumt Muffler ein. Den Zivilstand etwa leitet das Unternehmen daraus ab, ob ein Mann und eine Frau an derselben Adresse den gleichen Nachnamen aufweisen.
Für Firmen wie KB Direct wird es zunehmend schwieriger, an verlässliche Daten zu gelangen. Datenschutzbestimmungen schränken die Datenbeschaffung ein: Zum Beispiel publizieren fast alle Gemeinden keine Geburten mehr. Deshalb sprechen manche Partnerfirmen des Adresshändlers Eltern gezielt an, um das Geburtsdatum der Kinder zu bekommen. Die meisten Grunddaten gewinnt der Adresshändler immer noch aus dem Telefonverzeichnis Local.ch. Ein anderer Weg, um an Daten zu gelangen, sind Wettbewerbe.
Laut Roger Muffler nimmt die Zahl der persönlich adressierten Werbesendungen zwar ab, sie hätten aber «immer noch einen hohen Stellenwert». Werbung auf Papier habe mehr Wert als solche auf dem Bildschirm. Die Daten des saldo-Redaktors hat KB Direct seit Anfang Jahr bereits für ein Dutzend Werbesendungen weitergegeben.
Gut zu wissen: Jede Person hat das Recht, Auskunft über die gespeicherten Informationen zu erhalten. Jeder kann auch verlangen, dass der Adresshändler die Daten korrigiert oder löscht. Bei KB Direct gehen laut Muffler pro Jahr rund 100 Anträge auf Einsicht ein. Die meisten fordern auch die Löschung. Muffler empfiehlt stattdessen, sich in die Robinsonliste einzutragen (siehe Kasten). Denn: «Heute ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass gelöschte Daten irgendwann wieder in die Datenbank hineingeraten.»
Adressierte Werbung stoppen – mit der Robinsonliste
Wer im Telefonbuch mit einem Stern eingetragen ist, sollte von Werbeanrufen verschont bleiben. Der Eintrag schützt aber nicht vor adressierter Werbung. Dafür muss man sich auf die Robinsonliste setzen lassen. Der Eintrag ist kostenlos. Auf saldo.ch/robinson findet sich ein entsprechendes Formular. Der Eintrag ist auch per Brief möglich: SDV Schweizer Dialogmarketing-Verband, Postfach, 8501 Frauenfeld.
Die Mitglieder des Schweizer Dialogmarketing-Verbandes haben sich verpflichtet, alle auf der Robinsonliste eingetragenen Personen nicht mit adressierter Werbung zu behelligen. Bis der Eintrag wirksam ist, dauert es etwa zwei bis drei Monate.
Wichtig: Die Robinsonliste schützt nicht vor adressierter Werbung von Unternehmen, bei denen man Kunde ist.