Kurt Schneider aus Steffisburg BE liess sich vor 13 Jahren in beide Augen künstliche Linsen einsetzen. Er wollte keine Brille mehr tragen. «Der Preis von 10 000 Franken schien mir dies wert», sagt der 80-Jährige. Doch mit dem Resultat ist er nicht zufrieden. In die Weite und in die Nähe sieht er zwar gut. Arbeitet er aber am Computer, braucht er weiterhin eine Lesebrille. Und wenn er nachts Auto fährt, sieht er störende Lichthöfe um starke Lichtquellen wie Scheinwerfer. «Das Licht von entgegenkommenden Autos blendet mich stärker als früher.»
Fachleute nennen das Operationsverfahren «refraktiver Linsenaustausch». Mit einem Schnitt entfernen die Chirurgen die Linse und setzen eine künstliche Linse ein. Dank Kunstlinsen könne man die Fehlsichtigkeit «bereits in jungen Jahren» korrigieren, verspricht etwa die Augenklinik Teufen AR im Internet. Die Klinik bietet den teuren Eingriff auch jungen Leuten an: Studenten und Lehrlinge erhalten zehn Prozent Rabatt. Für Erwachsene kostet die Operation an beiden Augen 12 350 Franken.
Auch andere Augenkliniken machen Werbung für künstliche Linsen. Das Augenarztzentrum Zürich etwa verspricht, dank der Operation könne man auf eine Brille verzichten. Auch die Praxis Eyelaser in Zürich verspricht «Brillenfreiheit».
Doch die Operation ist umstritten. Wie Schneider haben viele Patienten nach dem Eingriff Probleme. Eine Studie bestätigt die Risiken. Deutsche Forscher untersuchten rund 250 Patienten, die Multifokallinsen erhielten. Dank diesen Linsen kann man nahe und ferne Objekte scharf sehen. Zehn Jahre nach dem Eingriff sagte jeder dritte Teilnehmer, er fühle sich nachts rascher geblendet als vor dem Eingriff. Und jeder fünfte sah störende Lichthöfe. Ein Drittel der Teilnehmer brauchte eine Brille für das Sehen in der Nähe. Die Studie erschien vor drei Jahren in der Fachzeitschrift «Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde».
Höheres Risiko für Ablösung der Netzhaut nach Operation
Experten raten Personen unter 40 von Kunstlinsen ab. Grund: Natürliche Linsen können schnell von Nah- auf Fernsicht umstellen. Nach dem Eingriff verlieren die Augen diese Fähigkeit. Der Augenarzt Sebastian Wolf vom Berner Inselspital sagt, das sei für junge Menschen ein erheblicher Nachteil. Rabatte für Jugendliche seien deshalb ethisch nicht vertretbar. Die Operation verdoppelt zudem das Risiko, dass sich die Netzhaut ablöst. Das zeigt eine Studie von französischen Forschern im Fachblatt «Ophthalmology». Dieses Risiko bleibe lebenslang bestehen, sagt Wolf.
Der Luzerner Augenarzt Dietmar Thumm kritisiert, es sei falsch, den Leuten nach der Operation ein Leben ohne Brille zu versprechen. Menschen mit einer geringen Kurz- oder Weitsichtigkeit hätten die besten Chancen, dass sie nach dem Eingriff keine Brille mehr brauchen. Allerdings empfiehlt Thumm in diesen Fällen keine Operation: Geringfügige Fehlsichtigkeit könne man mit Kontaktlinsen oder Laser korrigieren.
Meistens setzen Chirurgen multifokale Linsen ein, die für gutes Sehen in verschiedenen Distanzen sorgen. Der Zürcher Augenarzt Isaak Schipper gibt zu bedenken: «An diese Linsen muss man sich zuerst gewöhnen.» Ein weiterer Nachteil der Multifokallinsen sind die Lichthöfe und Blendeffekte in der Nacht. «Mit Monofokallinsen treten solche Probleme kaum auf», sagt Isaak Schipper. Diese Linsen korrigieren die Sicht nur auf eine Distanz, in der Regel in die Ferne. Die Augenkliniken nahmen zur Kritik der Fachleute nicht Stellung.
Künstliche Linsen: Das sollten Sie vor der Operation wissen
- Lassen Sie sich keine Linsen einsetzen, wenn Sie unter 40 Jahre alt sind.
- Der Augenarzt muss Sie über das Risiko von Komplikationen informieren.
- Lassen Sie sich keine Multifokallinsen einsetzen. Sie können nachts störendes Blenden und Lichthöfe erzeugen.
- Setzen Sie auf Monofokallinsen. Mit diesen können Sie ein Auge in die Nähe korrigieren und das andere in die Ferne. Probieren Sie vor der Operation mit Kontaktlinsen aus, ob Sie das vertragen.
- Verzichten Sie auf eine Operation, wenn Sie an einer Augenkrankheit leiden oder sie eine Immunschwäche haben.