Um 190 Prozent stiegen die Preise im Jahr 2023 in Venezuela – und das ist eine gute Nachricht. Denn: Im Vorjahr waren es sogar 234 Prozent. «Ja, die Preise steigen. Aber wir kommen irgendwie klar», sagen Antonella Marti (39) und Ronny Gamboa (42) über die aktuelle Teuerungsrate. Die beiden leben mit ihren beiden Töchtern Fabiola (8) und Paola (5) in einer Eigentumswohnung in Caracas.
Antonella arbeitet als Buchhalterin, Ronny ist Videoproduzent, und die Kinder gehen auf eine Privatschule. Der Grund für die Gelassenheit der beiden Selbständigerwerbenden im Umgang mit der Inflation: Venezuela hat Schlimmeres hinter sich.
2018 stiegen die Preise um unfassbare 65'000 Prozent. Die Venezolaner verloren das Vertrauen in die heimische Währung, den Bolivar. Der US-Dollar hat sich längst als paralleles Zahlungsmittel etabliert.
Finanzielle Situation
- Haushaltseinkommen: 1800 bis 2200 Franken im Monat
- Kosten fürs Wohnen pro Monat: Rund 35 Franken für Wasser und Strom
- Kosten für die Krankenversicherung: 2180 Franken pro Jahr für die ganze Familie
- Steuern pro Jahr: Rund 4800 Franken
Sind Sie mit der Wohnsituation zufrieden?
Antonella: Wir sind froh um die eigene Wohnung. Aber mehr Platz wäre schön, damit die Töchter nicht ein Zimmer teilen müssen.
Was gibt es heute zum Abendessen?
Antonella: Wir machen Arepas, das sind runde Maisfladen, mit Tomaten und Käse. Die Kinder hätten aber lieber Chicken-Nuggets.
Wie lange ist Ihr Arbeitsweg?
Antonella: Ich arbeite zu Hause.
Ronny: Morgens mit dem Auto eine halbe Stunde, zurück im Stau bis zu einer Stunde.
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Antonella: Bei der Berufsberatung zeigte sich, dass Betriebswirtschaft mein Ding ist.
Ronny: Ich habe von klein auf gelernt, wie Videoproduktion funktioniert, heute ist es mein Leben. Wir haben gerade mit einem Regisseur aus Kanada eine Werbekampagne für einen venezolanischen Rum fertiggestellt.
Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Tag?
Antonella: Acht bis zehn Stunden.
Ronny: Zwölf Stunden, manchmal mehr. Je nachdem, was zu tun ist.
Wo waren Sie zuletzt in den Ferien?
Antonella: Im Dezember haben wir fünf Tage Strandurlaub auf der Isla Margarita gemacht.
Sparen Sie Geld?
Antonella: Das ist schwierig. Ist was kaputt, fressen die Ausgaben alle Ersparnisse auf.
Ronny: Wenn wir sparen, tauschen wir die Bolivars in US-Dollar – das ist die stabilere Währung.
Wo spüren Sie die Inflation im Alltag?
Antonella: Im Supermarkt. Wir brauchen für einen grösseren Einkauf bis zu 440 Franken. Vor ein paar Jahren wars ein Bruchteil davon.
Welches Thema beschäftigt Sie zurzeit?
Antonella: Das Leben hier ist kompliziert: Es fehlt an Medikamenten, die Kriminalität ist hoch, man kann nicht immer alles kaufen. Aber ich will nicht klagen – all das war auch schon schlimmer.