Das langsame Verschwinden der Pioniere der Lüfte
In seinem Buch beschreibt der Biologe Dave Goulson die Folgen des Aussterbens der ältesten und meistverbreiteten Lebewesen der Erde – der Insekten.
Inhalt
saldo 16/2022
11.10.2022
Remo Leupin
Ein wichtiges Kapitel der Urzeitforschung wurde 1909 in den kanadischen Rocky Mountains aufgeschlagen. Der US-Paläontologe Charles Walcott befand sich auf dem Abstieg vom Burgess-Pass, als das Pferd seiner Frau über einen Felsbrocken stolperte. Walcott untersuchte den Stein und legte die Versteinerung eines Gliederfüssers frei, der vor 500 000 Jahren gelebt hatte. Spätere Grabungen förderten weitere Fossilien zutage, die sich im Urschlamm der Mee...
Ein wichtiges Kapitel der Urzeitforschung wurde 1909 in den kanadischen Rocky Mountains aufgeschlagen. Der US-Paläontologe Charles Walcott befand sich auf dem Abstieg vom Burgess-Pass, als das Pferd seiner Frau über einen Felsbrocken stolperte. Walcott untersuchte den Stein und legte die Versteinerung eines Gliederfüssers frei, der vor 500 000 Jahren gelebt hatte. Spätere Grabungen förderten weitere Fossilien zutage, die sich im Urschlamm der Meeresböden entwickelt hatten und vor 450 Millionen Jahren an Land gekrochen waren.
Die Ur-Insekten zählen zu den ältesten entdeckten Lebewesen. Einige von ihnen haben bis heute überlebt, etwa das Silberfischchen. Andere machten vor 380 Millionen Jahren einen weiteren Evolutionssprung und erhoben sich als erste Lebewesen in die Luft.
In seinem Buch «Stumme Erde» führt der britische Biologe Dave Goulson die Leser auf eine faszinierende Reise in die Urwelt. Und er beschreibt, wie die Insekten, die fast drei Viertel aller Tierarten ausmachen, vom Aussterben bedroht sind. So zeigen Studien, dass der Bestand von mehr als 40 Prozent aller Arten zunehmend zurückgeht. Betroffen sind vor allem Schmetterlinge, Ameisen, Wespen und Bienen. Gründe dafür sind Lebensraumverlust, Klimaveränderung und der Einsatz von Pestiziden.
Jahr für Jahr werden so Nahrungsketten von Vögeln, Fischen und Amphibien zerstört. Und in immer mehr Regionen der Welt werden Kulturpflanzen nicht mehr von Insekten bestäubt, was zu Hungersnöten führen könnte. «Gäbe es keine Menschen mehr, würde sich die Erde zu jenem wunderbaren Zustand der Balance zurückentwickeln, der vor 10 000 Jahren herrschte, zitiert Goulson den US-Biologen Edward O. Wilson. «Verschwänden die Insekten, würde die Natur ins Chaos stürzen.»
Dave Goulson, «Stumme Erde. Warum wir die Insekten retten müssen», Hanser, München 2022, ca. 30 Franken