Vor zwei Jahren machte die 60-jährige Edith Küpfer eine grosse Velotour: Von Pfäffikon ZH fuhr sie mit ihrem Mann an die Ostsee und zurück. Als sie wieder zu Hause war, spürte sie ein unangenehmes Kribbeln in der rechten Hand. «Am stärksten war es am Morgen nach dem Aufstehen», erzählt sie.
Solche Beschwerden sind typisch für das Karpaltunnelsyndrom. Das Problem: Ein Nerv, der vom Handgelenk zu den Fingern führt, hat zu wenig Platz. Er verläuft in einem engen Kanal, dem Karpaltunnel. Drückt dieser auf den Nerv, fühlen sich die Finger taub, steif oder kribbelig an. Eine falsche Position am Velolenker kann den Nerv quetschen. Auch Überlastung, Entzündungen oder ein schlecht verheilter Bruch sind mögliche Ursachen.
Experten raten von Kortison und Schmerzmitteln ab
Manche Ärzte fahren dann gleich mit schwerem Geschütz auf: Kortisontabletten. Auch Rolf Goldschmidt aus Oberwil BL bekam sie von seinem Arzt verschrieben. «Ich nahm die Tabletten mehrere Monate lang», sagt der heute 85-Jährige. Sie sollen das Gewebe in der Hand abschwellen und mehr Platz schaffen für den Nerv. Studien zeigen zwar, dass das wirkt. Doch der Zürcher Arzt Thomas Walser hält das «langfristig für riskant». Denn die Kortisontabletten können Infektionen im Körper fördern, den Blutdruck erhöhen und Osteoporose begünstigen.
In den Leitlinien der deutschen Handchirurgen werden Spritzen mit Kortison empfohlen. Diese wirken rasch und stark. Doch sie sind ebenfalls nicht ohne Risiko. Trifft der Arzt mit der Nadel den Nerv, kann dieser absterben, schreiben Autoren des Schweizer Ärztenetzwerkes Medix. Langfristig bringt allerdings auch Kortison in hohen Dosen kaum mehr als ein Scheinmedikament. Das zeigte eine Studie des Spitals Hässelholm in Schweden. Sie erschien 2013 in der Fachzeitschrift «Annals of Internal Medicine».
Auch Schmerzmittel, die gegen Entzündungen wirken, werden beim Karpaltunnelsyndrom eingesetzt: zum Beispiel Ibuprofen, Aspirin und Diclofenac. Von deren Gebrauch rät Thomas Walser ebenfalls ab: «Sie nützen kaum.»
Nächtliches Ruhigstellen mit einer Schiene kann helfen
Oft genügen sanfte Mittel gegen die Beschwerden. Wichtig ist: Man sollte das Handgelenk schonen und tagsüber repetitive, schmerzende Bewegungen vermeiden. In der Nacht ist das Ruhigstellen mit einer Schiene oft hilfreich. «Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Schmerzen am Morgen auftreten», sagt Walser. Die Schiene hält das Handgelenk gerade und bewirkt, dass der Nerv nicht gequetscht wird (siehe Tabelle im PDF).
Auch eine Physiotherapie kann helfen
Auch manuelle Therapien nützen. Diese werden von speziell ausgebildeten Physiotherapeuten und Ärzten angeboten. Die Fachpersonen bearbeiten die Hand und deren Umgebung mit gezielten Handgriffen. Das soll bewirken, dass der Nerv wieder mehr Platz im Karpaltunnel erhält. Schon drei solcher Behandlungen wirken langfristig gegen Schmerzen und Sensibilitätsstörungen in der Hand. Das zeigte eine Studie der spanischen Universität Rey Juan Carlos in Madrid, die im vergangenen Jahr in der Zeitschrift «Physical Therapy» erschien.
Kinesio-Tapes schnitten in mehreren Studien ebenfalls gut ab. Diese elastischen Pflaster aus Stoff klebt man auf die Hand und den Unterarm. Sie sollen das Gewebe aktivieren und dem Nerv mehr Platz geben. Die Tapes helfen vor allem dann, wenn die Schmerzen noch nicht lange andauern.
Sind die Schmerzen zu gross und bringen alle anderen Mittel nichts, ist eine Operation oft unumgänglich. Dabei durchtrennt der Chirurg das Gewebeband über dem Karpaltunnel. «Die Operation ist die letzte, aber sicherste Option», sagt Thomas Walser. Allerdings muss man die Hand danach mehrere Wochen schonen.
Bei Edith Küpfer verschwanden die Beschwerden ohne Operation. Sie band den Arm über Nacht ein, damit er nicht abknickte. Ausserdem dehnt sie heute ihre Hände nach dem Velofahren und ändert häufig die Position am Lenker. Das wirkt Wunder: «Seither hatte ich keine Beschwerden mehr.»
Hersteller Spirig schreibt, seine Kortisontabletten Spiricort seien für das Karpaltunnelsyndrom nicht zugelassen. Novartis schreibt zu Ibuprofen, Fachpersonen wie Ärzte und Apotheker seien dafür verantwortlich, Nutzen und Risiken des Mittels abzuwägen. Mepha hält fest, Diclofenac sei nicht das Mittel der ersten Wahl bei Karpaltunnelsyndrom und werde auch nicht so beworben.