Laut dem Wochenmagazin «Focus» tobt in Deutschland der «Krieg der Supermärkte». Noch nie seien so viele Lebensmittel im Rahmen von Rabattaktionen verkauft worden wie dieses Jahr. Mit den Preisreduktionen begonnen hat der Discounter Aldi. Ketten wie Edeka, Rewe, Lidl oder Kaufhof senkten dann ihrerseits die Preise. Gewinner dieser Konkurrenz: die Kunden.
Ganz anders in der Schweiz: Laut Silvio Borner, pensionierter Wirtschaftsprofessor aus Basel, weichen die beiden Riesen Coop und Migros der Preiskonkurrenz weitgehend aus. Es herrsche ein «Kuschel-Duopol» der Grossverteiler. Borner ist überzeugt: «Solche Konglomerate brauchen hohe Margen und könnten im freien Wettbewerb nicht überleben.»
Hochpreisinsel wegen Mangel an Wettbewerb
Das sieht auch der mit den Schweizer Verhältnissen vertraute New Yorker Wirtschaftsprofessor Yakov Amihud so. Den Mangel an Wettbewerb hält er für einen der Hauptgründe für die Hochpreisinsel Schweiz. Es sei in der Wirtschaftswissenschaft hinlänglich bekannt, dass ein Duopol zu höheren Preisen führe als der Wettbewerb zwischen mehreren Konkurrenten.
Auch für den Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger von der Uni Fribourg ist es eine Tatsache, «dass in der Schweiz der Wettbewerb im Detailhandel zu wenig spielt». Migros und Coop hätten sich «gut miteinander arrangiert» (saldo 16/12).
Dass beim Preis kein echter Wettbewerb herrscht, belegen die Gewinnmargen: Laut einer Untersuchung des deutschen Beratungsunternehmens Deekeling Arndt Advisors sind die Margen von Migros und Coop im europäischen Detailhandel die höchsten. Demnach hat Migros 2013 eine Bruttomarge von 39,2 Prozent erreicht, Coop von 28,8 Prozent. Zum Vergleich: Die deutschen Handelsunternehmen Edeka und Metro Group (Kaufhof, Real) kamen auf Bruttomargen von 11 respektive 20,2 Prozent.
Kunden finanzieren die Firmenaufkäufe
Die grossen Gewinne ermöglichen es den Genossenschaften Migros und Coop, laufend andere Schweizer Unternehmen aufzukaufen. Coop hat sich unter vielen anderen Epa, Waro, Carrefour Schweiz, Fust, Interdiscount und Import Parfumerie einverleibt. Die Migros kaufte beispielsweise Globus, Schild, Interio, Digitec und Galaxus. 2007 übernahm sie Denner, der zwei Jahre vorher Pick & Pay gekauft hatte. Marco Strittmatter, Detailhandels-Analyst der Zürcher Kantonalbank, schätzte den Kaufpreis für die Übernahme zwischen 1,3 und 2,5 Milliarden Franken.
Das viele Geld für die Grosseinkäufe stammt aus den Gewinnen, die aufgrund der hohen Margen resultieren. Anders gesagt: Die Konsumenten an den Kassen von Migros und Coop zahlen bei jedem Einkauf immer auch dafür, dass die beiden Grosskonzerne bald weitere Läden aufkaufen können.
Die Grossverteiler sind längst über den reinen Detailhandel hinausgewachsen: Beide führen Tankstellen und sind in der Reisebranche tätig. Sie betreiben Hotels und Restaurants. Die Migros hält sich zudem Golfparks, Fitnesszentren und immer mehr Arztpraxen. Coop etwa führt die Apothekenkette Vitality.
Mit dem Heimmarkt Schweiz begnügen sich die zwei Grossen längst nicht mehr. Sie versuchen seit einigen Jahren auch ihr Glück im Ausland (siehe Unten).
Migros und Coop wehren sich vehement gegen die Vorwürfe: Der Wettbewerb im Schweizer Detailhandel funktioniere und habe sich durch die zusätzliche Konkurrenz der beiden deutschen Discounter Aldi und Lidl sowie den Einkaufstourismus noch verschärft. Das zeige sich bei der Preisentwicklung in den letzten Jahren.
Die Margen seien marktüblich und «keinesfalls überrissen». Von einem «Kuschel-Duopol» könne keine Rede sein. Die Migros verweist auf Aldi und Lidl, die als weltweit grösste Discounter über «echte Marktmacht» verfügen würden.
Für Aldi Suisse hingegen steht fest, dass Migros und Coop in der Schweiz ein Duopol bilden, das den Wettbewerb stark einschränke. Aldi stelle sich der Herausforderung, dieses Duopol aufzubrechen, was aber nicht leichtfalle, zumal Jahr für Jahr mehr mittelständische Unternehmen in einem der beiden Handels- und Industriekonglomerate aufgehen würden. «Diese schleichende Vereinnahmung von Betrieben führt in gewissen Sektoren bereits zu faktischen Monopol- oder Duopolstellungen.» Aldi folgert: «Man muss davon ausgehen, dass eine solche Konstellation mit Sicherheit einen Einfluss auf das Angebot und das Preisniveau in der Schweiz hat.»
Qualität ist nicht der Grund für hohe Preise
Kommt hinzu: Das hohe Preisniveau von Migros und Coop hat kaum etwas mit der Qualität der Waren zu tun. Das belegen regelmässig die Produktetests von saldo und «K-Tipp». Eine Auswertung von 192 Produktetests durch die Universität Zürich zeigte, dass die günstigen Eigenmarken der deutschen Discounter Aldi und Lidl von überdurchschnittlich hoher Qualität sind (saldo 13/12).
Die Marktmacht der zwei Riesen
Die Migros-Gruppe erzielte 2014 insgesamt 27,3 Milliarden Franken Umsatz, davon 24,3 Milliarden im Inland (siehe auch Grafiken Seite 12 und 13). Die Coop-Gruppe machte sogar 28,2 Milliarden Umsatz (Inland: 20,8 Milliarden).
Zum Vergleich: Nestlé, der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern, erreichte im letzten Jahr 91,6 Milliarden Franken Umsatz. Migros und Coop kommen zusammen also auf 61 Prozent des Umsatzes von Nestlé.
Wie hoch die Marktdominanz von Coop und Migros in der Schweiz ist, zeigt sich besonders deutlich bei den Lebensmitteln. Auf die Migros-Supermärkte und Denner entfallen 45,1 Prozent des Lebensmittel-Detailhandels. Coop bringt es auf 35,1 Prozent. Das heisst: Migros und Coop konzentrieren 80,2 Prozent des Lebensmittel-Detailhandels der Schweiz auf sich. Die deutschen Herausforderer Aldi und Lidl kommen in der Schweiz gerade mal auf 5,6 respektive 2,5 Prozent des Kuchens. Volg muss sich mit 3,9 Prozent Marktanteil zufriedengeben.
Auch Zahlen von Branchenverbänden belegen die Marktmacht der beiden Riesen: 78,6 Prozent des Fleisch- und Wurstwarenumsatzes läuft laut Pro Viande über Migros und Coop, und zwei von drei Broten gehen bei den Grossverteilern über den Ladentisch, schätzt der Bäcker-Confiseurmeister-Verband.
Im Ausland nur mässig erfolgreich
Wenn man im eigenen Land nicht mehr wachsen kann, bleibt der Sprung ins Ausland.
1993 beteiligte sich die Migros am österreichischen Handelsriesen Konsum, der zwei Jahre später in Konkurs ging. Dieses Abenteuer kostete die Migros über 300 Millionen Franken. 2008 scheiterte der Versuch, Aproz-Wasser in den USA zu verkaufen. Und bis 2013 betrieb die Migros Basel vier Filialen in Deutschland, die nie aus den roten Zahlen herauskamen.
2014 erreichte die Migros-Gruppe im Ausland einen Umsatz von knapp 3 Milliarden Franken – rund 11 Prozent des Gesamtumsatzes. Dazu beigetragen haben die drei Migros-Filialen in Frankreich, die hessische Supermarktkette Tegut, das Wohnaccessoire-Unternehmen Depot, Migros-Fitnesszentren in Deutschland, ausländische Tochtergesellschaften von Hotelplan sowie Exporte und Auslandstandorte der Migros-Industrie.
Coop gründete 2005 zusammen mit dem deutschen Handelskonzern Rewe das Unternehmen Transgourmet. Seit 2011 ist Coop Alleinbesitzerin. Zudem kaufte die Coop-Tochter Bell seit 2008 gross im Ausland ein. Die ausländischen Geschäftsbereiche erwirtschafteten im letzten Jahr einen Umsatz von 7,3 Milliarden Franken. Das ist mehr als ein Viertel des Gesamtumsatzes der ganzen Coop-Gruppe. Die Umsätze im Ausland sind rückläufig.